Arnon Grunberg
Badische Zeitung,
2014-09-20
2014-09-20, Badische Zeitung

Eine Oper für Bagdad


Martin Halter

Schweizer sind für den holländischen Juden Arnon Grünberg bemitleidenswerte Glückskinder: Von Krieg und Elend verschont, gebettet in einem Kokon von Sicherheit, Ordnung, Wohl- und Anstand, geraten sie gerade eben darum immer wieder in Teufels Küche. In "Der jüdische Messias" machte Grünberg einen Teenager aus Basel zum Wiedergänger Hitlers; jetzt erlebt ein Architekt aus Küsnacht im Irak die Hölle. Samarendra Ambani, Schweizer mit indischen Wurzeln, ist aufreizend vernünftig, politisch neutral, konfliktscheu und humorlos; für ihn ist die Architektur ein gefühls- und wertneutrales Bauklötzchenspiel für global denkende Künstler. Im Irak allerdings stößt sein Mantra "Ich bin Schweizer Architekt" auf Achselzucken und Hohn: Der zivilisierte Europäer, der sich für notorisch unverwundbar hält, bezahlt seinen Hochmut erst mit einer gebrochen Nase und dann mit seinem Leben.

Dass der Auftrag, eine Oper für Bagdad zu bauen, nicht ganz koscher ist, hätte er ahnen können: Eine Oper ist so ziemlich das letzte, was ein von Krieg und Terror zerstörtes Land braucht. Schon bei seiner Ankunft in Bagdad beginnt ein Albtraum: Der Auftraggeber, ein dubioses Word Wide Design Consortium, erweist sich als Phantom, der Puccini-Liebhaber Hamid Shakir Mahmoud ist verschwunden. Sam wird an einem Checkpoint von Bewaffneten aus dem Taxi gezerrt und ungeachtet lautstarker Proteste ("Ich bin Architekt. Wir dienen der Schönheit und Funktionalität. Mit Politik haben wir nichts am Hut") brutal gefoltert. Vom Roten Kreuz gerettet, versucht er sein Foltertrauma zu Hause mit Hilfe seiner Freundin in einem grotesken Re-Enactment zu bewältigen: Nina verwandelt – erst zögernd, dann mit wachsender Lust – das Badezimmer in ein häusliches Abu Ghraib für ihren "kleinen Schneck", Demütigungen, Sadomaso-Spielchen und Urinduschen inbegriffen.

Grünberg würzt seine Romane, Zeitungskolumnen und Blogs gern mit boshaftem Sarkasmus, Tabubrüchen und grellem Slapstick. In "Der Mann, der nie krank war" zügelt er seine Lust an Arabesken und anekdotischem Zierrat. Der schmale Roman ist meisterhaft gebaut: Der Plot ist spannend wie ein Hitchcock-Thriller, die Sprache nüchtern, die Figuren sind knapp, aber präzise skizziert. Grünberg war nicht umsonst als eingebetteter Reporter mehrfach im Irak, in Afghanistan und als Kulturbotschafter in Dubai.

Im zweiten Teil wird Sam noch einmal in die Wüste geholt, die Farce wiederholt sich als kafkaesker Prozess. Der Emir von Dubai will mit einer gigantischen "Bücherarche" seinen Ruhm als Kulturträger mehren. Der junge Architekt folgt seinem Lockruf nur zu gern: Er hat noch etwas zu beweisen, und Dubai ist ja kein gescheiterter Staat, sondern "Westen 2.0", ein kapitalistisch-professionell organisiertes Land, das Rationalität und Humanität garantiert. Wieder wird Sams Naivität grausam bestraft: Der Auftrag entpuppt sich als Fata Morgana, der Rechtsstaat als Willkürregime; Sam wird unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet und als Mossad-Agent zum Tode verurteilt. Nicht einmal Nina glaubt an seine Unschuld. Eine Botschaftsangestellte versorgt ihn in der Todeszelle mit Fernseher, Lindt-Schokolade und billigem Trost; mehr kann man für einen armen Irren nicht tun. "Der Mann, der nie krank war" verliert über seinen Entwürfen die Menschen aus den Augen. Für diese Blindheit muss er bitter bezahlen.