Arnon Grunberg
Buchkritik,
2014-10-08
2014-10-08, Buchkritik

Der Mann, der nie krank war


Hans Durrer

Ein Schweizer Architekt namens Samarendra Ambani – Samarendra Vater hatte einst Indien verlassen, da er zum Schluss gekommen war, „dass verheissungsvolle junge Talente sich in der Schweiz besser entfalten können“ – , der in der Schule begann, sich Sam zu nennen („... die Leute wollten sich Namen merken und aussprechen können und nicht mit etwas Exotischem konfrontiert werden, das war etwas, das in den Urlaub gehörte“), geht aus einem Wettbewerb für den Bau einer Oper in Bagdad als einer von drei Finalisten hervor und wird in den Irak eingeladen. Als er dort dann seinen Koffer aufmacht, finden sich darin ganz andere als seine Kleider, und auch noch ungewaschen – eine von vielen überaus gelungenen Szenen, gleichzeitig witzig und furchteinflössend.

Von Sicherheitsleuten wird Sam in einem Haus untergebracht, wo nichts wirklich sauber ist und er, trotz Passwort, keinen Internetanschluss hat. Dann erfährt er, dass sein Auftraggeber, Hamid Shakir Mahmoud, tot ist und er sich in dessen Haus befindet. Von einer etwa 40jährigen Frau, die in der Küche arbeitet, wird er in die örtliche Kultur eingeführt: „'Arbeiten Sie hier schon lange?', fragt er.
Sie antwortet nicht.
'Haben Sie Familie?' 'Alle tot', antwortet sie. Sie gibt ihm den Tee. Den Beutel hat sie auf seinen schmutzigen Teller gelegt.
'Das tut mir leid.' 'Nachbarn töten meine Mann. Älteste Sohn töten Nachbarn. So die Regeln.' Sam nimmt einen Schluck Tee.
'Sohn von Nachbarn töten älteste Sohn. Jüngere Sohn Sohn von Nachbar. Tradition. Cousin von Nachbar töten jüngere Sohn. Sonst keine Söhne.'“

Sam beschliesst zu fliehen. Ein nicht-offizieller Taxifahrer bringt ihn zur grünen Zone, wo er gefangengenommen und befragt wird. Ob er eine Terrorist oder ein Spion sei? Keineswegs, er sei Architekt und Schweizer Staatsbürger. Sam ist ein Trottel.

Er wird zusammengeschlagen, sie würden mit ihm tun, was die Amerikaner mit ihnen getan habe, kriegt er zu hören. Langsam dämmert ihm, dass er in eine gespenstische Lage geraten ist. „Was hatte er denn gedacht? Dass die Welt eine einzige Schweiz wäre?“ Dann kriegt er Besuch, von einem Italiener vom Roten Kreuz, der sich nach der Qualität des Essens erkundigt, und von Herrn Böckli von der Schweizer Botschaft. Die beiden nehmen ihn mit in die Freiheit.

Zurück in der Schweiz wird er von Medium zu Medium gereicht. Die freundliche Mitarbeiterin des Zürcher Regionalsenders, Tele Züri, lässt ihn wissen, dass sie das halbstündige Gespräch auf acht Minuten kürzen müsse, da er ja nicht gerade ein Modell-Schweizer sei. Sicher, er habe einen Schweizer Pass, doch: „Wenn unsere Zuschauer Sie sehen, sehen sie einen Asiaten, und mit so einem wollen sie sich lieber nicht identifizieren. Das heisst, sie wollen schon, aber es fällt ihnen schwer, verstehen Sie?“ Treffender kann das spezifisch Schweizerische an der Schweiz kaum schildern.

Kurz darauf erhält er zusammen mit Dave den Auftrag für den Bau einer gigantischen Bibliothek mit zugehörigem Bunker in Dubai. Seine Freundin Nina kann nicht fassen, dass er dorthin will. Doch Sam fliegt hin, er ist ein Trottel, und landet auch dort im Gefängnis ...

„Der Mann, der nie krank war“ ist ein unterhaltsames Buch, witzig, teilweise spannend, teilweise gespenstisch, so realistisch wie absurd, und mit cleveren Einsichten wie etwa dieser: „Es ist die Art Freundlichkeit, die Leute zu härterem Arbeiten antreiben soll“.