Arnon Grunberg
Neue Zürcher Zeitung,
2005-10-15
2005-10-15, Neue Zürcher Zeitung

Kein warten auf Godot


B. Eichmann

Eigentlich besässe die Geschichte vorerst das Zeug zur Ferienlektüre: ein Mann und eine Frau in mittleren Jahren, die seit langem zusammenleben, zwar leidenschaftslos, aber noch immer mit einem Gefühl zärtlicher Anhänglichkeit. Man beäugt einander schonungslos (aber nicht gnadenlos) und legt auch ab und zu einen Seitensprung ein. Doch mit ordentlichen Portionen Selbstironie kommt man zusammen gut über die Runden und auch die Kanten: erst in Eilat, danach in Göttingen, wohin ein Forschungsauftrag die Frau ruft. Der Mann, Christian Beck, hat schon zuvor seinen Schriftstellerberuf aufgegeben und übersetzt nun Gebrauchsanweisungen für Staubsauger und weitere Geräte aus dem Englischen ins Deutsche. Selbst die Krankheit, die plötzlich über die Frau hereinbricht, kann das Arrangement nicht wirklich stören. Denn der Mann hilft ihr, die er immer "Vogel" genannt hat, ohne Aufhebens. Erst als sie ihn mit der Nachricht überrascht, dass sie einen Asylbewerber aus Algerien heiraten werde, wird er kurz stutzig. Aber auch in dieser neuen Situation einer "ménage à trois" - denn es handelt sich beileibe nicht um eine Scheinheirat - richtet er sich ohne grosse Worte und Bewegungen ein. Selbst den Kurs im Elsass, wo sie auf einem verwahrlosten Bauernhof die Herstellung von Ziegenkäse erlernen möchte, bucht er anstandslos gleich für alle drei. Schliesslich ist es der Wunsch einer Schwerkranken, und Christians Toleranz kennt keine Grenzen.

Trotz Krankheit und Todesnähe, die in diesen Erzählräumen vorherrschen, liefert der niederländische Erfolgsautor Arnon Grünberg viele Gründe zum Lachen. Er entfaltet eine Komik, die sich aus witzigen und aberwitzigen Situationen nährt und so ziemlich alles, was gemeinhin als Konvention oder gar als Wert gilt, auf den Kopf stellt. Woody Allen dürfte Pate gestanden haben. Manchmal ist man zwar dem 1971 geborenen Autor etwas gram, weil er seine mit Sentenzen gespickten Sätze geradezu häuft - so viel Lebensweisheit war nie! Aber im Grunde genommen könnte man seinem Trio noch lange auf den unkonventionellen Wegen durch den Alltag folgen und sich dabei mit Garantie unterhalten.

Indessen zieht sich - erst kaum merklich - eine düstere Spur durch diesen Text: die blutrünstige Geschichte im Bordellmilieu von Eilat (Tatwaffe: ein Schraubenzieher, das Opfer: eine junge Osteuropäerin). Der Täter ist kein anderer als Christian Beck, der gutmütige Schlaffi, den wir schreibend am Pult glaubten. Doch greift die Polizei nicht nach ihm, und erst in Europa gerät die grausige Story durch merkwürdige Verquickungen wieder ans Licht. Nun aber wird die Fracht dieses Romans schwer und schwerer, Grünberg stellt sich immer neuen Problemen, worüber sein Text ausufert. Für seinen Protagonisten aber verwandelt sich das Leben nun erst recht in hundertprozentigen Wahnsinn. Seine Existenz betrachtet er, der Fatalist, als gänzlichen Fehlschlag. So lässt er sich fallen, vernachlässigt sich rabiat und lässt keinen Menschen mehr an sich heran. Er weiss, dass er nichts mehr zu erwarten hat. Am Schluss sitzt er, bekleidet mit dem Nachthemd des verstorbenen "Vogels", draussen auf einer Bank und kümmert sich nicht um den Regen, der ihn bis auf die Haut nässt. Es ist das verstörende Bild eines Verlorenen, welches sich hartnäckig festsetzt.