Arnon Grunberg
Deutsche Welle,
2005-04-12
2005-04-12, Deutsche Welle

Der Vogel ist krank


Alexsander Kudascheff

Vor den Wagnissen einer Schriftstellerkarriere hat sich Christian Beck in eine Existenz als Übersetzer von Gebrauchsanweisungen geflüchtet - ein Asyl vor dem eigenen Leben. Doch wie lange kann man sich aus dem Leben heraushalten? Ruhig, ein wenig beängstigend, aber doch unaufgeregt - so beginnt dieses Buch. Lapidar heißt es: "Der Vogel ist krank". Und man erfährt: der Vogel - das ist der Spitzname einer Frau. Und sie sagt es - ohne Selbstmitleid, aber bestimmt - zu ihrem Freund: Christian Beck, der früher mal Schriftsteller war, aufgehört hat zu schreiben und seitdem eine fast studentische Existenz führt: als Übersetzer von Gebrauchsanweisungen.

Christian Beck und seine Lebensgefährtin - sie führen ein unauffälliges Leben, ohne große Ansprüche an sich selbst. Ein unscheinbares Leben, ohne Luxus, scheinbar ohne Wünsche. Ein weltabgewandtes Leben, in dem beide sich selbst genügen. So sieht es aus. Doch dann: "Der Vogel ist krank" - und es beginnt eine turbulente Aufarbeitung eines gemeinsamen Lebens.

Die kranke, wie sich herausstellt, todkranke Frau, sagt unvermittelt, sie wolle heiraten. Beck denkt natürlich, ihn selbst. Doch seine Frau will einen Algerier heiraten. Und der neue Mann - Beck ist sogar Trauzeuge - zieht zu beiden ein, verdrängt Beck aus dem gemeinsamen Schlafzimmer unter die Garderobe. Ein schweigsamer Mann, der aber Becks Freundin liebt - körperlich liebt - ganz im Gegensatz zu Beck, der seit Jahren nicht mehr mit ihr geschlafen hat - und auf deren Frage, warum - nur mit den Achseln zucken kann.

Liebe und Orangensaft

Und plötzlich stellt sich heraus, dass der ruhige, so unscheinbare Beck jahrelang eine Freundin nach der anderen hatte. Dass er bei einem gemeinsamen Forschungsaufenthalt mit dem Vogel in Israel täglich das Bordell besuchte - und schließlich sogar einer Hure ein Auge ausgestochen hatte. Und auch der Schriftsteller Beck tritt wieder in Erscheinung. Denn eine frühere Erzählung von ihm wird neu veröffentlicht - eine Phantasie über ein Attentat auf einen Nobel-Puff in Amsterdam. Doch dann geschieht wirklich ein Anschlag auf das Bordell - und Beck wird unfreiwillig zum Kronzeugen.

Vor und zurück geht dieser Roman, während der Vogel krank ist, langsam stirbt, von beiden Männern gepflegt wird - mit Liebe und Orangensäften - bis die Frau gar nichts mehr zu sich nehmen kann, ins Krankenhaus eingeliefert wird - doch beide Männer tragen sie wieder heraus, damit sie zu Hause sterben kann. Zuhause? Das ist zwar die Wohnung, doch eher die Idee des Lebens, ein Traum. Arnon Grünberg, der junge niederländische Schriftsteller, hat ein trauriges, ein witziges, ein nachdenkliches, ein anrührendes, ein komisches Buch geschrieben. Ein wunderbares Buch.