Arnon Grunberg
Sozialprojekte,
2006-06-24
2006-06-24, Sozialprojekte

Der Vogel ist krank


Eigentlich ist Christian Beck ein zur literarischen Figur gewordener Woody Allen. Als ihn seine Frau in ihrer kleinen, von der Schwüle der letzten Wochen aufgeheizten Wohnung mit den Titel gebenden Worten „Der Vogel ist krank“ (den ersten des Romans) weckt, da bleibt nur das Attribut „krank“ an und in ihm haften. „Immer und überall ist Beck auf der Hut vor Gefahr“, heißt es im neuen Roman des jüdischen Autors Arnon Grünberg, „obwohl er nicht weiß, von welcher Seite sie kommen wird. Beck weiß, das der Tod am liebsten zuschlägt, wenn man ihn nicht erwartet; um ihm, dem Tod, ein Schnippchen zu schlagen, hat er beschlossen, ständig auf ihn gefasst zu sein. Etwas in ihm ist gestorben, er wartet, dass der Rest ebenfalls stirbt, so dass alle Teile sich wieder im gleichen Zustand befindet.“ Der Hypochonder und Gebrauchanweisungs-Übersetzer Beck hat sich und das Leben also schon längst aufgegeben. Aber dann gerät er in den Strudel abenteuerlichen Ereignisse, die seine langjährige Beziehung in Frage stellen und sein Weltbild völlig über den Haufen werfen. Plötzlich hängt er wieder „mitten drin“ im Leben, mehr als ihm lieb ist, „und da braucht man keine Bücher“. Aber man sollte Bücher über dieses traurigschöne Leben schreiben. Und genau das hat Grünberg auch getan ...
Bisweilen wirkt Arnon Grünbergs Erzähler etwas geschwätzig. Gerade am Anfang dauert es etwas, bis Der Vogel ist krank so richtig in Fahrt kommt. Aber wenn man sich an diesen Erzählton erst einmal gewöhnt hat, entwickelt sich die Geschichte zu einem echten, teils rasanten Lesevergnügen. Nach dem Sensationserfolg Blauer Montag, nach Statisten und Phantomschmerz hat der 33-jährige New Yorker Autor wieder einmal einen Roman vorgelegt, der tragisch und komisch zugleich geraten ist und für die Grünberg ganz zurecht den renommierten, mit 50.000 Euro dotierten niederländischen AKO-Literaturpreis erhalten hat. Der Vogel ist krank zeigt, wie viel Potenzial noch in dem gebürtigen Amsterdamer steckt. Vielleicht Grünbergs bestes Buch: zumindest bis zum nächsten. --Stefan Kellerer

Irritierend hoffnungslose Figuren

Wie die Helden seiner letzten Bücher, sucht auch die Hauptfigur von „Der Vogel ist krank" verzweifelt nach irgendeinem Sinn in einem als vollkommen sinnlos erlebten Leben.
Christian Beck hat sich nach einer zunächst aussichtsreichen Schriftstellerkarriere, dessen tödliche Folgen ihn am Ende des Buches dramatisch einholen werden, in eine Existenz als Übersetzer von Gebrauchsanweisungen geflüchtet. Auch in seiner Beziehung zum „Vogel" , seiner ansonsten namenlosen Freundin, hat er sich vollkommen aufgegeben. Sein großes Lebensprojekt, allem und jedem nachzuweisen, wie überflüssig und auf Illusionen aufgebaut, das Leben doch sei, scheitert.
Der Leser sieht fassungslos zu, wie ein Mensch sich verflüssigt. Nachdem ich bis auf den „Phantomschmerz" alle Bücher dieses Schriftstellers gelesen habe, auch seine beiden empfehlenswerten, unter einem Pseudonym Marek van der Jagt veröffentlichten Bücher „Amour fou" und „Monogam" frage ich mich indessen, ob das Leben wirklich so hoffnungslos und sinnlos sich darstellt wie offenbar für Arnon Grünberg.
Auch dieses Buch lässt den Leser nicht los, und dennoch möchte er auf beinahe jeder Seite der Hauptfigur widersprechen und ihn von seinem selbstzerstörerischen Handeln abhalten.