Arnon Grunberg
Süddeutsche Zeitung,
1997-04-25
1997-04-25, Süddeutsche Zeitung

Arnon Grünbergs glänzender Debütroman


Harald Eggebrecht

Was geschieht mit Heringen aus Amsterdam auf einer Zugreise nach Duesseldorf, wenn es 'so ein Tag ist, an dem sich jeder am liebsten in eine Wanne mit eiskaltem Bier gesetzt haette'? Sie fangen an zu riechen, bis das ganze Abteil nach Hering stinkt, und es niemand mehr aushalten kann. Auch nicht die zwei kichernden Maedchen, mit denen Arnon Gruenbergs Vater auf dieser Fahrt schaekert. Zuerst besprengt er die Abteilwaende noch mit Koelnisch Wasser, aber irgendwann ist jede Nase beleidigt: 'Er holte die Zwiebeln, die sauren Gurken und die Heringe aus seiner Tasche. Dann liess er die Maedchen daran riechen, schnupperte auch selbst noch einmal daran und warf das Ganze aus dem Fenster.'

Arnons Vater, der waehrend seiner guten Jahre Leute mit Halbglatze in Kneipen trifft, sich fuer Heinrich Heine haelt und sich schaemt, ein Gebiss zu tragen, sitzt am Ende seines Lebens im Rollstuhl, Arnon schiebt ihn. Eines Tages erstickt der Alte, der bei Aufregung und Zorn immer ins Deutsche verfaellt, am Brei, der ihm eingeloeffelt wird. Worauf Arnons Mutter auf dem Jerusalemer Flughafen Ben Gurion beim Warten auf die Ueberfuehrung des Sarges bruellt, sie habe ihren Mann umgebracht. Arnon stellt nuechtern fest, dass sie gleiches schon fuer den Tod ihres Vaters in Anspruch genommen habe, und sagt: 'Jetzt hoer endlich auf, sonst bring ich dich um.' Am Ende des Buches lebt auch diese Mutter, die im Zorn gern das Familiengeschirr an die Wand pfeffert, selbstverstaendlich nur fuer ihren Sohn.

An keiner Stelle dieser mit kalkulierter Schnoddrigkeit runtererzaehlten Episoden, Anekdoten und Sentenzen aus dem Leben eines Taugenichts, der von sich weiss, 'dass ich so ueberfluessig bin wie die Tauben am Hauptbahnhof, . . . und die paar Leute, die ich mag, wissen das auch', an keiner Stelle dieses ungemein kurzweiligen, aber immer bitteren Buches klingt es lieb, nett oder schmissig. Arnon Gruenberg, 1971 in Amsterdam geboren, vom Gymnasium geflogen, hat Versuche hinter sich, als Apothekenhelfer, Tellerwaescher oder Verleger zu leben: 'Ich lief auf der Frankfurter Buchmesse herum und lernte jede Menge Leute kennen, die so taten, als seien sie im Leben noch nie betrunken gewesen und jetzt zum ersten Mal allein von zu Hause weg.' Dann hat er Theaterstuecke geschrieben, arbeitete fuer diverse Zeitschriften und lebt zur Zeit in New York.

In diesem nur scheinbar nachlaessig zum sogenannten Roman geschnuerten Buendel Lebenssplitter eines jungen Mannes aus juedischem Haus herrscht ein rabiat lakonischer Ton, der auch die trostlosesten Kneipenerlebnisse und tristesten Hurenbegegnungen schonungslos komisch macht: Arnons erste Hure Tina, die ihn wie eine Mutter ihr Kind gleich zweimal waescht, oder die weisse Astrid, die es sich andauernd gemuetlich machen will, oder die litauische Sandra mit ihrer riesigen gelben Tasche. Selbst die Pubertaetsliebesgeschichte mit der unberechenbaren Rosie verklaert Gruenberg nicht, sondern vermag es, seine mitleidlose Schaerfe unmerklich so zu besaenftigen, dass das Zarte eine Chance hat. Arnon Gruenberg streunt durch ein Leben, an dessen Anfaengen er mit dem Vater am liebsten unkoscher polnische Schweinswuerstchen ass, spaeter 'Geborgenheit. . . Trost . . . und Waerme, die sie versprachen, wenn nur auch du Teil des auserwaehlten Volkes sein wolltest,' fuer 'tausendmal verlogener' haelt 'als die Waerme, die dir die erstbeste Strassenhure ohne Gebiss geben konnte.' Wer in dieses unheilige, nie schoene, aber immer spannende Treiben einsteigen will, kann es an jeder Stelle des Buches tun. Schon um die naechste Ecke geht es beinhart zu. (Arnon Gruenberg liest heute im Muenchner Kuenstlerhaus am Lenbachplatz aus seinem Roman Blauer Montag. Beginn: 19 Uhr.)