Arnon Grunberg
Wiener Zeitung,
2015-01-24
2015-01-24, Wiener Zeitung

Unheilvolles Dröhnen


Shirin Sojitrawalla

Der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg erschafft unversöhnliche Welten und kafkaeske Szenerien, in denen die Menschen und die Gegenwart ihre Abgründe offenbaren.

Der niederländische Erfolgsautor Arnon Grünberg begegnet seinen Figuren mit ausgesprochener Gnadenlosigkeit. Gerne schockiert er seine Leser mit ungezogenen Büchern. Unvergessen ist etwa die tour de torture, die er dem Vater in seinem Buch "Tirza" angedeihen ließ.

In seinem neuesten Roman mit dem Titel "Der Mann, der nie krank war" erwischt es einen eher durchschnittlichen Architekten: Samarendra Ambani, Sohn eines Inders und einer Schweizerin, ist auf gutem Wege, aus seinem Leben etwas zu machen. Mit einem Kompagnon führt er ein Architektenbüro in Zürich und bekommt unverhofft den Auftrag, in der irakischen Hauptstadt Bagdad eine Oper zu bauen.

Grünberg beginnt seinen Roman harmlos - und doch umgibt schon die ersten Sätze und den Reiseantritt ein unheilvolles Dröhnen. In Zürich lebt Sam ein Leben in einigermaßen geordneten Verhältnissen, Jahre verbinden ihn mit seiner Freundin Nina.

Seine Mutter wohnt mit seiner Schwester Aida zusammen, die unter einer schweren Muskelkrankheit leidet, sein Vater ist bei einer Kletteraktion in den Bergen ums Leben gekommen. Doch bei Grünberg dient die familiäre Situation nur als Hintergrundbild für eine Geschichte, die das Fürchten lehrt. Im Irak ist für Sam nämlich nichts mehr wie geplant, sein Auftraggeber Mahmoud ist verschwunden, soll gar tot sein, keiner weiß irgendetwas über eine Oper oder gar von ihm als beauftragten Architekten.

Ein Albtraum: rätselhaft, unheimlich und ausweglos. Sam erweist sich dabei als Nachfahre von Kafkas Protagonisten K., der nicht weiß, was und wie ihm geschieht. Grünberg inszeniert diesen Moment, in dem die Normalität in den Wahnsinn kippt, mit kalter Präzision. Die Unausrechenbarkeit der Handlung trägt viel zur ungeheuren Spannung dieses Romans bei. Die jeweiligen Überlegungen des Protagonisten decken sich dabei mit den Überlegungen der Leser, die etwa ebenso davon ausgehen, dass die Hauptfigur nicht schon im ersten Viertel des Buches ihr Leben lassen kann, auch wenn die Lage im Irak das nicht ausschließt. Hauptfigur und Leser befinden sich stets auf demselben Wissensstand, die Ereignisse überfallen beide gleichzeitig. Auch Sams Angst, Unsicherheit und Unbehagen übertragen sich unmittelbar auf den Leser.

Sam kehrt aus dem Irak wieder nach Hause zurück, so viel darf man an dieser Stelle verraten, weil man damit gar nichts über den Fortgang der Geschichte, die den Protagonisten auch noch nach Dubai führen wird, erzählt. Wo das alles enden mag, fragt man sich bis zuletzt. Dabei gefällt sich Arnon Grünberg wieder einmal in der Schaffung unversöhnlicher Welten, in denen die Menschen und die Gegenwart ihre Abgründe offenbaren.

Ohne Umwege kommt der Autor zur Sache, hält sich nicht mit langen Beschreibungen auf, sondern prescht und peitscht den Plot voran, wobei er gekonnt mit den Chiffren des Politthrillers spielt und diese immer wieder mit absurdem Humor konterkariert. Dabei treibt er alles in die dunkle Ecke, die den Endpunkt des Romans darstellt.

Das Ende wirkt dann in seiner Zwangsläufigkeit fast schon schal, obgleich das Buch mit seiner zynischen Analyse unserer Gegenwart einen beklemmend nachhaltigen Eindruck hinterlässt: Wer nach dem Lesen von Frank Schätzings "Der Schwarm" eine Weile kein Bedürfnis mehr hatte, seine Ferien am Meer zu verbringen, der bleibt wohl auch nach der Lektüre von Grünbergs neuem Roman am liebsten daheim.