Arnon Grunberg
Welt am Sonntag,
1998-09-27
1998-09-27, Welt am Sonntag

Düsseldorf


Michael-G Müller

Er ist der "King of Düsseldorf" - der redselig schmierige Koby. Der Besitzer des Nachtclubs "Israel" wird nicht müde, sein Etablissement, seinen Schampus und seine leichten Mädchen anzupreisen. Die Kunden begehren, scheint's, eher weiche Haut denn teure Tropfen. Und zwischen Israelis und Deutschen besteht dabei nicht der leiseste Unterschied.

Zu diesem Fazit zumindest kam Arnon Grünberg, dessen beißend ironisches Stück jetzt in Düsseldorf uraufgeführt wurde. Makaber der Titel, zündend die Inszenierung der ersten Koproduktion zwischen Essener Folkwanghochschule, Düsseldorfer Schauspielhaus und dem Yarom Löwenstein-Studio in Tel Aviv: "You are also very attractive when you are dead."

Daß der holländische Autor Grünberg, aus deutsch-jüdischer Familie stammend, mit Alltags-Sprache und Sujets umgehen, sie schleifen und daraus ein Kunstwerk schaffen kann, bewies bereits sein Debütroman "Blauer Montag", der in deutscher Übersetzung zu einem Kassenschlager wurde. Der 27jährige Lockenkopf, der mit der Lieblingslektüre Heine und Tucholsky aufwuchs, kann schon jetzt vom Verkauf seiner Bücher leben. Mit der gleichen Schnoddrigkeit vermengt er in seinem ersten Drama Anekdoten, Sentenzen und jugendliche Lebenssplitter zu einem anregenden Theaterabend.

Interviews waren Grundlage für das bitter-süffige Stück, das als Auftragsproduktion des Landes für "50 Jahre Israel" mit 130000 Mark aus der Staatskanzlei finanziert wurde. Der Autor fuhr nach Israel und befragte 16 Nachwuchs-Schauspieler - acht von der Folkwang-Hochschule und acht aus Tel Aviv.

Ausgewählt wurden sie von Folkwang-Regisseur Brian Michaels, Dramaturg Ingo Brux (Schauspielhaus) und Yoram Löwenstein. Wie diese jungen Mimen nun ihre eigene Geschichte (sie behalten auf der Bühne ihre Namen) in Grünbergs Text auf die Bühne brachten, ist überraschend: So viel Talente - von quicker Lebendigkeit, Intensität und Draufgängertum - tummeln sich nur selten auf der Schauspielhaus-Bühne. Sie sind jetzt schon besser als manche festangestellten Profikollegen.

Ein Panoptikum von schrägen Typen hat sich in den Nachtclub "Israel" verirrt: Der schüchterne, stotternde Stefan, der unbeholfen am Busen einer Hure grabscht, Kellnerin Franziska, die - mit sich allein - an Horst Tappert denkt; die blondierte Seghal, die ungeniert ihre vom Chirurgen verkleinerten Brüste zeigt und schamlos nach den Freiern greift - und nicht zuletzt ein Transvestit, der zu "Happy Birthday Israel" Halleluja schluchzt.

Frech, dreist und grotesk wirken die meisten Bekenntnisfetzen - Bekenntnisse über lauter verkorkste Biographien. Das sonst durch NS-Geschichte so belastete Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis spielt hier so gut wie keine Rolle. Aus anderen Gründen brodelt permanent ein Vulkan von Aggressionen: Lautstark, gemein und obszön zanken sich Freudenmädchen, Barbesitzer und Kunden auf Deutsch und Englisch über Trinkgeld, Sex und Wohlstand.

Verstärkt wird die unheilige Melange aus Kneipenerlebnissen und Hurenbegegnungen durch Grünbergs lakonischen Tonfall, durch Stakkato-Sätze, deren Machart an Pina-Bausch-Texte erinnern. Ein Theatererlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Bis 5. Oktober.