Mitgenommen
Manuela Haselberger
Es sind die Vater-Tochter-Geschichten, die den niederländischen Autor Arnon Grünberg faszinieren. In seinem letzten Buch Tirza ging ein Vater los und suchte seine Tochter, die sich nach dem Abitur auf eine längere Afrika-Reise begeben hatte. Im neuen Roman „Mitgenommen“ beleuchtet er dieses Thema von einer ganz anderen Seite.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Lina, ein kleines Mädchen, das in einem verlassenen Dorf irgendwo in Südamerika lebt. Die Zeiten sind unruhig, dem Militär gelingt es nur noch schwer die rebellierende Bevölkerung zu unterdrücken. Lina ist gerade zehn Jahre alt, als eines Nachts ihre Eltern von Soldaten erschossen werden, weil sie angeblich Unruhestifter sind. Der Major, der die Operation leitet, bringt Lina, die nicht ahnt, dass ihre Eltern tot sind, zu sich nach Hause. Da er und seine Frau keine Kinder bekommen können, nimmt er an, dass das kleine Mädchen mit den wunderschönen dunklen Zöpfen ein ideales Geschenk für seine Frau sei. Endlich sind sie eine vollkommene Familie. Weit gefehlt. Was der Major nicht bedenkt: Liebe kann man nicht befehlen und schon gar nicht erzwingen. Seine Frau fühlt sich völlig überrumpelt und empfindet keinerlei Zuneigung für den Gast in ihrem Haus. Und auch Lina ist unglücklich. Eines Tages, der Major ist für längere Zeit bei einem Kriegseinsatz, rennt sie einfach weg. Lina hofft auf Hilfe von einer Behörde, die sie wieder zurück zu ihren Eltern bringt.
Doch auch hier, noch in der langen Schlange vor dem Schalter des Amtes, wird Lina einfach wieder von einem Mann mitgenommen. Dieses Mal verschlägt es sie in ein Minendorf, das nicht von den Militärs beherrscht wird. Hier arbeitet sie viele Jahre bei ihrem neuen Stiefvater, bis sie bei einem Wettbewerb dem „Dirigenten“ auffällt. Ein Mann, der den Widerstand leitet und der es gewohnt ist, dass er sich nimmt, was ihm gefällt.
Immer wieder in ihrem Leben passiert es Lina, dass sie mitgenommen wird, ohne dass sie jemals gefragt wird, ob das überhaupt in ihrem Sinn ist. Sie entwickelt sich zu einer Frau, die am Ende sehr genau weiß, was sie will, und der niemand mehr irgendwelche Vorschriften macht. Doch Liebe erfährt sie auch in ihren späteren Jahren von keiner Seite.
Der erste Satz von „Mitgenommen“ ähnelt einem Paukenschlag: „Der Mörder von Lina Sinani Huancas Eltern konnte selbst keine Kinder zeugen, darum beschloss er Lina Sinani Huanca zu adoptieren.“ Mit dieser Tat beginnt die Tragödie nicht nur für ein kleines Mädchens. Arnon Grünberg wirft die Adoption des Kindes wie einen Stein in einen großen ruhigen Teich und beschreibt dann die Wellen, die sich daraus entwickeln.
Es ist ein Roman, der ohne jede Sentimentalität auskommt, sehr klar im Stil ist und Menschen zeigt, die alle auf der Suche nach Liebe jämmerlich scheitern, verfangen in ihrer Einsamkeit. Eine harte, beklemmende Story, großartig erzählt.