Arnon Grunberg
Schweizerische Depeschenagentur AG,
2003-09-03
2003-09-03, Schweizerische Depeschenagentur AG

Phantomschmerz


Annett Klimpel

"Phantomschmerz" des niederlaendische Erfolgsautors Arnon Gruenberg ist die Geschichte eines Egomanen, der unfaehig ist, gluecklich zu sein und unfaehig, andere Menschen gluecklich zu machen.

"Mein Vater war Schriftsteller. Meine Achtung vor Literatur und Schriftstellern ist noch kleiner als vor Maennern im Allgemeinen", laesst der seine Romanfigur Harpo Saul Mehlmann, Sohn eines exzentrischen Schriftstellers, sagen. Schon als Kind erkennt Harpo, dass er der einzig Normale seiner Sippe zu sein scheint.

"Obwohl ich nicht besonders religioes erzogen wurde, schrieb ich an jenem Abend einen Brief an Gott, in dem ich ihm erklaerte, dass meine Eltern mich Harpo genannt hatten, dass sie Buecher aus dem Fenster warfen, nicht ganz bei Trost waren und es nicht einmal merkten, kurzum: dass seine Hilfe dringend erwuenscht war. Spaeter hat mein Vater den Brief gefunden und benutzt. So wie er alles benutzte."

Drastisch und direkt

Umrahmt von den Erinnerungen Harpos beschreibt dessen Vater Robert in einem Romanmanuskript sein Leben, seine Ehe und seine Affaeren. Auf sich selbst konzentriert geraet der Exzentriker immer tiefer in einen Strudel aus Sinnkrise, Selbstmitleid und Egomanie.

Mit seiner Frau verbindet ihn ueber Jahre hinweg nur der gegenseitige Hass, fuer den Gruenberg eine drastische, auch ordinaere Sprache waehlt: ""Ich ekle mich vor deinem Schwanz", sagte die Maerchenprinzessin.

"Weiss der Himmel, wo du ihn schon alles reingesteckt hast. Vielleicht koenntest du ihn in Zukunft etwas besser waschen, damit andere Frauen nicht erst alte Pisse zu lecken brauchen, wenn sie dir einen blasen.""

Schonungslose Details

Die selbstherrliche Wahrnehmung des Robert G. Mehlmann macht es schwer, Sympathie zu empfinden. "Die Welt kaempft gegen mich, nicht umgekehrt. Und was mein Ego angeht, wenn es dir zu gross ist, dann geh doch. Hau doch ab, und gib mir endlich auch die Chance, gluecklich zu werden."

Seltsam gefuehllos und distanziert beschreibt Mehlmann Erlebnisse bis ins Detail: "Zwei Mueckenstiche auf ihren Pobacken sah ich, ich zog an ihren Haaren und hielt ihren Hintern fest. Den Hintern, von dem sie gesagt hatte, er sei zu dick, doch sie habe den Kampf aufgegeben. Ich schob die Hinterbacken auseinander und sah kleine Fitzelchen Toilettenpapier, nicht groesser als Kuchenkruemel, nicht mehr als weisse Puenktchen auf einem Tuch aus Fleisch."

Die Ratte auf dem Schaukelpferd

Trotz schonungsloser Details und skurriler Dialoge bleibt Mehlmanns Leben oberflaechlich, die Geschichte eines ebenso neurotischen wie verschwenderischen Taugenichts, der auf der Jagd nach Leben, aber unfaehig zu Empfindungen ist. Mehlmann bleiben alle Menschen fremd, weil seine Wirklichkeit eine andere als die ihre ist.

Er ist der selbstgerechte Beobachter eines Leben, das ziellos zwischen Affaeren und Erfolgen herumplaetschert und dabei noch nicht mal komisch ist. Was bleibt, ist das dumpfe Gefuehl sinnlos verlebter Zeit.

Der 1971 in Amsterdam geborene Arnon Gruenberg gilt als Wunderkind der niederlaendischen Literatur. Unter anderem Namen, Marek van der Jagt, veroeffentlichte er die Romane "Amour fou" und "Monogam".

Sein neues Werk wird nur lieben, wen der Mix aus verdrehter Selbstwahrnehmung und Nichtwahrnehmung des Gegenuebers nicht ermuedet. Doch wie heisst es so schoen in "Phantomschmerz": "Ich bin nicht der Prinz auf dem weissen Ross, ich bin die Ratte auf dem Schaukelpferd. Das Theater der falschen Hoffnung schliesst seine Pforten."