Arnon Grunberg
Der Spiegel,
2004-01-05
2004-01-05, Der Spiegel

Lebenstoll


Mit dem seltsamen Appell "Aufstehen, die Irren rufen, der Lockruf der Irren erschallt" weckt der in New York lebende Schriftsteller Robert G. Mehlman täglich seine Frau. Während sie in die Tagesklinik für psychisch Kranke enteilt, wo sie mit mäßigem Erfolg versucht, ihre Patienten vor dem Selbstmord zu bewahren, begibt sich Mehlman wie berauscht in das Chaos seines eigenen Lebens: Er steht zwischen drei Frauen - und kurz vorm Bankrott. Außer seiner Ehefrau, der "Märchenprinzessin", mit der ihn fast nur noch der tägliche Streit verbindet, ist da Evelyn, die dickliche Kellnerin aus Puerto Rico, deren Berührungen so sind, wie er sich seine Worte wünscht: "Sie waren geladen", weil "zu viel Verlangen in ihnen war". Und dann gibt es noch Rebecca, die ständig über ihre zu groß geratenen Hände und Füße redet und gern eine zweite Mata Hari wäre. So wenig Mehlman sich für eine der Frauen entscheiden kann, so schwer kommen sie von ihm los.

Von diesem Gefühlsdurcheinander berichtet, wunderbar tragikomisch, der niederländische Autor Arnon Grünberg in seinem Roman "Phantomschmerz". Wären Mehlmans Ideen für einen neuen Roman so gut wie die Lügengeschichten, mit denen er seine Romanzen und den drohenden finanziellen Ruin vor seiner Frau zu verbergen sucht, wäre er längst ein gemachter Mann. Doch dann entdeckt Mehlman die polnisch-jüdische Küche, und alles beginnt sich zu verändern.

Der 1971 in Amsterdam geborene Grünberg gilt in seiner Heimat auch deshalb als Enfant terrible, weil er nach ersten schriftstellerischen Erfolgen anfing, unter dem Pseudonym Marek van der Jagt zu schreiben. Das führte dazu, dass er zweimal denselben Literaturpreis erhielt. Sein neuer Roman ist bittersüß erzählt, voller Wehmut und mit beißendem Humor. Die Geschichte jenes Mannes, der bei dem Versuch, seinen "gewaltigen Hunger" nach Leben zu stillen, in aberwitzigste Situationen gerät, doch letztendlich nie wirklich bei sich selbst ankommt - sie ergibt ein treffendes Literaten-Psychogramm, das auch noch unterhaltsam ist.