Arnon Grunberg
Sozialprojekte,
2006-06-24
2006-06-24, Sozialprojekte

Amour fou


Wie viele Romane sind nicht schon über die Pubertät geschrieben worden. Viele überflüssige, aber auch Kultbücher wie Salingers Fänger im Roggen. Andere waren unverhohlen autobiografisch und haben ihre Verfasser im Teenageralter unversehens in den Rang eines Bestsellerautors katapultiert, wie es dem 16-jährigen Benjamin Lebert mit Crazy widerfuhr. Marek van der Jagt ist schon Mitte 30, kann sich aber offenbar noch gut an die eigene Jugend erinnern, die er als Sohn eines niederländischen Vaters in Wien verlebte. Und er hat keine Angst, sich und seinen Helden bloßzustellen. Denn der heißt zufällig auch Marek van der Jagt und sieht sich mit den typischen Peinlichkeiten konfrontiert, die Pubertät und erste amouröse Erlebnisse allermeistens mit sich bringen.
Mit 14 beschließt Marek, sich auf die Suche nach einer "Amour fou" zu machen. Er weiß zwar nicht so recht, was das ist, stellt es sich aber umwerfend vor. Mit 15 begegnet er zwei Mädchen aus Luxemburg und scheint seinem Ziel endlich näher zu kommen. Aber statt der Amour fou erlebt er ein Desaster -- dem Ahnungslosen wird beschieden, dass er "untenrum ein Zwerg" ist. "Der Alptraum Österreichs kam aus Braunau am Inn, die Alpträume meines Vaters aus dem Bauch meiner Mama, doch mein Alptraum kam aus Luxemburg-Stadt."
Zwei Mädels aus einem Zwergstaat enthüllen ihm seine genitale Zwergenhaftigkeit. Die Beschreibung der Albtraumnacht und dieser männlichen Urangst gehört zum Witzigsten, was man je über juvenile Sexualkatastrophen lesen konnte. Die Kapitel über Mareks Familie -- seine nymphomane und zugleich depressive Mutter, seine spleenigen Brüder -- haben allerdings einige Längen. Und ob das Ende gelungen ist, kann man sich auch fragen -- aber vielleicht ist ja auch der dramatische Schluss autobiografisch.
"Nicht weniger komisch als Nackt von David Sedaris" prangt auf dem Buchumschlag. Alles in allem erscheint das übertrieben -- aber nur ein ganz klein wenig! Denn schräg, melancholisch und herrlich komisch ist auch die Welt von Marek van der Jagt.

Neurosen und andere Alltagspsychopathologien

Dieses Buch ist ein wahrer Lesegenuß! Der Protagonist amüsiert durch seine psychologisierende Analyse seiner Welt, einer Welt distanzierter Beziehungen und gefühlskalter Bindungen. Immer wieder gerät der Jugendliche in absurde Situationen, sei es am Familientisch, sei es bei der Nachhilfe oder beim plastischen Chirurg. Eine Romanfigur scheint neurotischer als die andere und nicht nur wer sich mit Psychologie auseinandergesetzt hat, wird dieses Buch mit Freude lesen. Der Leser wird in die Welt der Obsessionen eines pubertierenden Jugendlichen geführt, der naiv und unbeholfen-kreativ auf die Suche nach der ultimativen "amour fou" geht. Marek van der Jagt hat ein Buch geschrieben, das einge sehr angenehme und amüsante Lesestunden schenkt. Unbedingt lesen!

Klassische Moderne

Ein überraschendes Buch: zunächst mal liest es sich wunderbar. Schon nach einer Seite ist man mitten im Thema. Und dann wird mit cooler Gelassenheit eine vollkommen absurde Geschichte erzählt, die sich im Wiener Bürgertum ganz bestimmt so abspielen kann. Witzig, unterhaltsam, präzise.
Im Vordergrund aber steht für mich weder die Amour fou noch der Penis-Komplex oder die verrückte Familie. Ich finde das Charakteristische des Buches die Tatsache, dass hier ein junger Holländer erzählt und schreibt wie ein Wiener Schriftsteller der Zwanziger Jahre. Das versponnene Thema der Amour fou und der Steinbruch für Hobby-Psychoanalytiker, das ganze Ambiente ist dem Museum der klassischen Moderne entnommen. Und in diesem Museum bewegt sich der Autor absolut souverän. Die Erzählung lebt von dem Anachronismus, dass ein junger Erzähler des 21. Jahrhunderts in einer hundert Jahre alten Welt schreibt.
Ich bin sehr auf das nächste Buch gespannt. Ist das ein Stil, der nur dieser Geschichte geschuldet ist, oder hält er es als eigenen Stil durch?

Eine gute geschichte noch besser erzählt!

"amour fou" gehört zu den büchern, die man sofort verschlingt und am ende sehr bereut, dass es schon vorbei ist. gemeinsam mit dem protagonisten erinnert sich der leser an viele begegnungen mit unterschiedlichen charaktären, die auf die empfindung- und gedankenwelt des erzählers eifluss nehmen und diese mal komisch mal fast tragisch-lustig darstellen. ein buch mit dem humor der besonderen art, ein meisterwerk der darstellung. eine herrlische geschichte, die so gut endet, wie sie anfing. unbedingt lesen!lesen!lesen!

Amour fou und andere Lebensziele

Eigendlich stiess ich auf das Buch als es im Spiegel vorgestellt wurde und dort eine gute Kritik erhielt. Ich kann dem nur zustimmen. Die Geschichte kann einem ziemlich konfus vorkommen. Der Erzähler/Autor (ist es denn nun ein und die selbe Person?) hällt sich nicht an eine chronologische Reihenfolge sondern springt von einem Gedanken auf den nächsten. Etwas ganz Natürliches aber doch gewöhnungsbedürftig in der Literatur. Ist es doch nicht so wenn man eine Geschichte erzählt dass man bei jedem Gedanken an eine Vorgeschichte oder Erklärung denkt? Der Autor bringt das ganz toll hervor. Ich finde dass das Buch dadurch an Wert gewinnt. Das Buch liest sich sehr leicht und hat einen schnell gefesselt. Die Geschichte ist verfügt über einen recht skurilen Humor, der mir persönlich gut gefiel. Absolut lesenswert.