Arnon Grunberg
FM 4 ORF,
2002-03-03
2002-03-03, FM 4 ORF

Marek van der Jagt: Amour fou


Elisabeth Gollackner

Wenn man mich heute ermorden würde, dann wäre die Friseuse sicher die Hauptverdächtige. Nachdem sie mir gestern die Haare gewaschen hat, als wäre ich ein Kalkfleck im Waschbecken, muss sie sicherlich Unmengen von meiner Kopfhaut unter ihren spitzen, lackierten Fingernägeln haben. Nein, als Genuss würde ich meinen Friseurbesuch gestern wirklich nicht bezeichnen.
Gut, wenn man da was zur Ablenkung dabei hat.
Noch besser, wenn es Marek van der Jagt's "Amour Fou" ist. Denn in die parfumschwere Luft dieses Reich&Schön-Frisiersalons passt der Roman haargenau. Wo wir auch schon beim Thema wären...

"Gehen's, aber oben tun ma schon a bisserl an Glanz drauf, meinen's nicht?"

"Die Geschichte meiner Kahlheit", so lautet der Originaltitel in der holländischen Ausgabe. Doch der Ich-Erzähler ist keineswegs ein alter Mann, der von den amourösen Eroberungen seiner Jugend berichtet. Der Held der Geschichte, Marek, ist gerade mal so um die 20 und lebt in Wien. Er kommt aus reichem Elternhause, weiß sich auszudrücken und weiß ganz genau, was er will: Liebe bis zum Wahnsinn, Amour Fou. Schon mit 15 ist er sich dessen sicher - hat er doch genug darüber gelesen. Außerdem lebt es ihm seine exzentrische Mutter tagtäglich vor: Alle Männer Wiens liegen ihr zu Füßen, und hin und wieder pickt sie sich einen armen Künstler heraus, um ihn mit Haut und Haaren zu verschlingen.

"Zu heiß? Des tut ma jetzt leid, aber sehn's eh, ich hab die Handschuhe an, ich spür das ja nicht!"

In Wien, seiner Heimatstadt, macht sich van der Jagt auf die Jagd nach der Liebe, die ihm den Kopf verdrehen soll. Doch die erste Begegnung dieser Art wird zum Disaster. Die zwei (!) Mädchen, die er eigentlich verführen wollte, machen ihm klipp und klar deutlich, dass es zwischen seinen Beinen ein großes Problem gibt, oder besser gesagt: ein kleines, ein unverhältnismäßig kleines kleines. Marek ist tief im Inneren seiner Unterhose ein Zwerg.

Von diesem Augenblick an geht alles abwärts. Denn die grandiose Amour Fou und sein Zwerg - soetwas läßt sich Mareks Meinung nach niemals vereinen.

"Ich föhn dir die Haare nicht. Dann fallen sie besser."

Erwachsenwerden ist nicht leicht. (Vorallem die verzwickte Angelegenheit mit der Sexualität und dem eigenen Körper.) Auch dann nicht, wenn man alle griechischen Klassiker gelesen hat und weiß, wie man das Wort "ambivalent" buchstabiert. Und erst recht nicht, wenn die gesamte Familie berühmt und erfolgreich ist und von einem erwartet, dass man in die viel zu großen Fußstapfen tritt.

"Eine grandios geschriebene, ebenso temporeiche wie lakonische und phantastische Geschichte über Lebensträume. Eine zu Herzen gehende Lebensbeichte, niemals sentimental. Ein äußerst scharfsichtiges Buch auch über den Heldenmut, den es braucht, der besten aller möglichen Welten und dem Drängen der Familie auf Reichtum, Ruhm und Erfolg zu entkommen. Denn was gibt es Kühneres als das Streben nach wirklichem Glück?"
(Diogenes)

Tja, besser könnt ich's auch nicht beschreiben. Und so wie Marek am Ende des Romans seine Glatze bekommt, so bin ich am Ende dieses Friseurbesuchs doch noch zu einem Haarschnitt gekommen, der passt.
Wer hätte das gedacht.