Arnon Grunberg
Falter,
2003-09-01
2003-09-01, Falter

Phantomschmerz


Thomas Askan Vierich

Arnon Grünberg hat mit "Phantomschmerz" einen tragikomischen Roman über einen gescheiterten Schriftsteller geschrieben.

Robert Mehlmann ist Mitte dreißig, wirkt aber, als hätte er die fünfzig längst überschritten - so zynisch und welterfahren kommt er daher. Seine große Zeit als Jungstar liegt schon eine Weile zurück; alle seine Bücher werden verramscht, und seine Kreditkarten sind hoffnungslos überzogen. Also sucht Mehlmann sein Heil in einem Kochbuch über die polnisch-jüdische Küche. Die Rezepte hat er einer allein stehenden älteren Dame abgeschwatzt, ja er kann diese sogar dazu überreden, große Summen in eine nicht existierende Stiftung zu investieren, um damit seine Gläubiger zu befriedigen. Darüber hinaus erweist sich das Kochbuch als echter Renner.

Den Kern von "Phantomschmerz", dem jüngsten Buch des 32-jährigen Holländers Arnon Grünberg, stellt Mehlmanns unveröffentlichter Roman "Die hohle Nuss und andere Juwelen" dar, in dem dieser auf urkomische und desillusionierte Weise erzählt, wie es zu seinem Bestseller kam, wie dabei seine Ehe in die Brüche ging und warum er eine Affäre mit einer hässlichen und langweiligen jungen Frau begann, die alle nicht zu Unrecht "die hohle Nuss" nennen. Grünberg hat seinen Roman raffiniert gebaut, mit einer Rahmenhandlung aus der Sicht von Mehlmanns Sohn, einer Bibliografie von Mehlmanns Werken und einem dichten Netz von Leitmotiven ausgestattet. Darüber hinaus treibt "Phantomschmerz" ein doppelbödiges und Spiel mit der Biografie des Autors.

Grünberg hat eine Art Anti-Autobiografie geschrieben, seinen Horror davor, so zu enden wie Mehlmann, genussvoll ausgelebt. Dabei kann der Autor ziemlich geschmacklos werden. Als sich sein Held und die "hohle Nuss" das erste Mal küssen, ist das so, "als müssten wir die Enttäuschung von uns abküssen, ganz energisch, wie man Kloschüsseln sauber macht, die schon seit langer Zeit nicht mehr gereinigt worden sind". Und seine Mutter ruft Mehlmann aus dem Spielcasino an, um ihre Gefangenennummer aus Auschwitz zu erfragen - in der Hoffnung, mit dieser Zahl endlich Glück beim Roulette zu haben. Mit solchen Passagen rebelliert der Jude Grünberg gegen die "Heiligsprechung" bestimmter Themen, wie er selber sagt. Außerdem tragen die makabren Scherze, unappetitlichen Vergleiche und die zahlreichen absurden Dialoge entschieden zum tragikomischen Unterton des Romans bei.

Es ist schwieriger, einen Tag gut zu leben, als ein Buch zu schreiben", meint ein angehender Schriftsteller in Grünbergs Debüt "Blauer Montag". Ein Zitat, erklärt Grünberg, dessen Wahrheit er jeden Tag stärker empfinde: "Ein Schriftsteller bestimmt, was in seinem Buch geschieht. Im Leben ist man viel weniger frei. Dort läuft man Gefahr, ständig Niederlagen zu erleiden." Also lebt Grünberg seine Obsessionen lieber in der Literatur aus. Zum Beispiel in dem Roman "Amour Fou", der in Wien spielt, vom höchst unglücklichen Versuch eines jungen Mannes handelt, sein Glück in der Liebe zu finden und von Grünberg unter dem Pseudonym Marek van der Jagt veröffentlicht wurde - um dem Image des Generation-X-Autor zu entkommen. Prompt bekam er dafür den Preis für das beste Debüt zugesprochen, den er 1994 schon mit "Blauer Montag" gewonnen hatte. Als er seine wahre Identität lüftete, nahm man dem Autor das sehr übel. Dabei hat er das Preisgeld nie kassiert.

Ob Schreiben für ihn eine Art von Kannibalismus sei? "Bestimmt. Man benutzt vom Leben, was man braucht für seine Geschichten, und den Rest wirft man in den Mülleimer. Bei allem, was man sieht, was man erlebt, hat man immer im Hinterkopf: Vielleicht kann ich's brauchen. Man isst nicht nur seine Umwelt auf, sondern auch sich selbst. Schreiben ist sehr gefährlich. Manchmal provoziert man im wirklichen Leben Situationen, nur um sie schriftstellerisch auszubeuten."