Arnon Grunberg
Berliner Morgenpost,
2006-03-03
2006-03-03, Berliner Morgenpost

Der Diplomat und das Liebesleid


Hendrik Werner

Das Diplomatenleben scheint niederländische Romanciers anzuziehen. So schrieb Leon de Winter mit "Hoffmans Hunger", dieser Posse um einen freßsüchtigen Botschafter, seinen vielleicht besten Roman. Darin verfällt der Gesandte in Prag den Becircungskünsten einer Agentin - und wird für ihre Zuneigung seinerseits zum Spion.

Ein Schelm, der Epigonales dabei denkt, daß im jüngsten Roman von Arnon Grünberg eine ähnliche Konstellation zu schlimmstmöglichen Wendungen und bestmöglichen Pointen führt. Sein Protagonist Jean Baptist Warnke - Selbsteinschätzung: "Mit so einem Namen kann man eigentlich nur Diplomat werden" - arbeitet als zweiter Mann an der niederländischen Botschaft in Peru. Er ist konfliktscheu, behäbig und zufrieden. Zum einen ist Klima in Lima prima. Zum anderen hat das Gewohnheitstier einen unaufwendigen Job.

Eines Tages jedoch erliegt Warnke in einem Café dem verführerischen Zauber von Malena, einer jungen Einheimischen. Als sie ihn zu einem Konzert einlädt und ihm dann auch noch libidinöse Flötentöne beibringt, ist es um Warnkes Contenance geschehen. Kurz darauf nehmen Tupac-Amaru-Rebellen bei einem Empfang in der Japanischen Botschaft 500 Geiseln - und Malena ist plötzlich verschwunden. Daß sie ihn ausspioniert haben könnte, kommt Warnke nicht in den Sinn. Schließlich würde er alles für sie tun, sogar sterben.

Für das subtile Psychogramm dieses liebesverblendeten Mannes, der vom Biedermann zum Brandstifter mutiert, dient Arnon Grünberg die historisch verbürgte Geiselnahme aus dem Jahre 1996, die mit der Erstürmung der Botschaft und der Erschießung aller Guerilleros endet, nur als spektakuläre Hintergrundkulisse. Er setzt den Akzent auf eine spannende Seeleninspektion, die indes ähnliche Verwüstungen zutage fördert wie das Verbrechen in der Japanischen Botschaft. Er fügt damit seiner Reihe an schwächelnden, aus der Bahn geworfenen Mannsbildern - zuletzt der manisch passive Schriftsteller Beck in dem Roman "Der Vogel ist krank" - ein besonders bedauernswertes Exemplar hinzu. Grünbergs neuer Roman ist geradlinig, gewitzt, gelungen. Vor allem ist er ausgereifter als seine letzten Bücher, die den Eindruck erweckten, es gehe ihm vor allem um den größtmöglichen Output. Es steht ihm gut, weniger wild zu fabulieren, dafür aber mehr Energie auf die Stimmigkeit seiner Figuren zu verwenden. Alles eine Frage der Abwägung, alles eine Frage des, nun ja, diplomatischen Geschicks.