Arnon Grunberg
Belletristik-Couch.de,
2012-06-01
2012-06-01, Belletristik-Couch.de

Messerscharfe und humorvolle Gesellschaftsanalyse


Daniele Loisl

Knapp 700 Seiten hat das Buch, aber wer nervenaufreibende Spannung, innovative oder ungewöhnliche Erzählung oder einfach ein packendes, mitreißendes Buch erwartet, wird von Grünbergs neuem Roman enttäuscht werden.

»Mit Haut und Haaren« zeigt ein gnadenloses Panoptikum von Beziehungen von heute – » steht auf dem Buchumschlag und trifft den Nagel auf dem Kopf.

Roland Oberstein, Dozent für Wirtschaftswissenschaft, sieht sein Leben sehr pragmatisch. Was er erreichen will, das erreicht er und was nicht erreichbar ist, will er auch nicht erreichen. Nach dieser Devise lebt er, ist beruflich eng eingespannt, setzt sich aber auch selbst unter Druck. E-Mails müssen sofort beantwortet werden, obwohl er weiß, dass er dadurch der Flut an Antworten noch weniger Herr werden kann. Und dann sind da noch die Frauen. Durch die Erfindung des Handys ist er stets erreichbar und wenn man zwei Frauen in verschiedenen Zeitzonen gerecht werden muss, so kann dies mitunter ziemlich stressig sein.

In «Mit Haut und Haaren" werden keine großen Probleme gewälzt, kommen keine tragischen Schicksalsschläge vor und muss der Protagonist nicht ums Überleben kämpfen. Viel mehr zeichnet Arno Grünberg ein Bild von selbstgezüchteten Sorgen und Problemen, die der Mensch sich so gerne macht.

Man begleitet Oberstein zu den Treffen mit seinen Frauen, zu Vorträgen und Gesprächen und reist so als blinder Passagier von Amsterdam über New York, Chicago und Frankfurt. Und überall spielen sich im Grunde Szenen ab, die man entweder schon selbst erlebt oder von anderen erzählt bekommen hat. Alltagssituationen der gehobenen Mittelschicht. Keine existenziellen Sorgen werden aufgezeigt, kein Kampf um die Existenz, keine überflüssigen Gedanken verwendet, dass morgen etwas nicht mehr so sein könnte wie es heute ist.

In Grünbergs Gesellschaftsanalyse werden Szenen festgehalten die absolut authentisch sind. Er zieht den Leser nicht durch eine außergewöhnliche Sprache oder einen innovativen Erzählstil in seinen Bann, sondern legt den Focus auf viele kleine Details, die zusammengesetzt die ganze Komplexibilität zwischenmenschlicher Beziehungen aufzeigen. Oberstein, den Grünberg als klugen und gewieften Mann darstellt, hat sein Leben im Griff, kommt aber nie zur Ruhe. Er will sich von nichts und niemanden vereinnahmen lassen und verliert durch seine vielen Frauengeschichten auch mal den Überblick. Er hat eine weiche Seite die er – abgeklärt wie er ist - natürlich zu verbergen versucht. Da teilt ihm eine seiner Freundinnen mit, dass sie ihn betrogen hat, was ihn anscheinend ziemlich kalt lässt, trifft auf seine Exfrau die ihm erzählt, dass ihr neuer Mann noch ein Kind von ihr will, muss sich von einem Kollegen sagen lassen, dass er mit seinen Studenten nicht so herablassend umgehen soll und erfährt von einer Studentin, dass dieser ihr Pferd wichtiger ist als ihre Vorlesungen.

Mit subtilem Humor und immensem Feingefühl für Zwischentöne, gewährt Grünberg einen Blick ins Innere der Menschen. Neben Oberstein sind es noch etliche andere von deren grauem Alltag und mehr oder weniger großen Sorgen man erfährt.

Unaufregend, aber pointiert führt Grünberg durch das Leben seiner Figuren. Er versteht es wie kaum ein anderer, eigentlich banalen Begebenheiten und alltägliche, nicht sonderlich erwähnenswerte Geschehnisse, so geschickt zu verflechten, dass der Leser sich darin verfängt und sich erst am Schluss wieder von dem Buch lösen kann.

Locker leicht ist der Roman erzählt, einfach zu lesen und dennoch außerordentlich klug verfasst. Die leisen und auch humorvollen Zwischentöne sind es, die dieses Buch zu dem machen was es ist. Ein wunderbares Buch, das einem vergnügliche (Lese)Stunden beschert.