Arnon Grunberg
Aachener Zeitung,
2012-03-31
2012-03-31, Aachener Zeitung

Wirklichkeit ist zu oft satirisch


Sabine Rother

Sein Erstling »Blauer Montag« wurde in 14 Sprachen übersetzt, er hat inzwischen alle niederländischen Literaturauszeichnungen »abgeräumt« und erhielt als 31-Jähriger den Preis des Landes NRW: Heute ist Arnon Grünberg, der in Amsterdam geboren wurde, 40 Jahre alt. Sein neues Werk »Mit Haut und Haaren« ist ein Gesellschaftsroman, der beweist, wie intensiv und nachdenklich er sein Umfeld beobachtet. Mag manches skurril erscheinen - immer wieder trifft der Leser auf Situationen, die er selbst schon so - oder ähnlich - erlebt hat. Wir sprachen mit Arnon Grünberg.
»Mit Haut und Haaren« ist laut Verlagseinschätzung ein satirischer Roman. Mit erscheint er allerdings beunruhigend realistisch. Woher haben Sie Ihre Beobachtungen? Grünberg: Die Wirklichkeit ist leider zu oft satirisch. Ich bin, wie glaube ich alle Schriftsteller und nicht nur Schriftsteller, ein neugieriger Mensch. Wenn man lebt, beobachtet man, sich selbst und andere.
Ist Satire für Sie ein Mittel, Wahrheiten zu transportieren? Grünberg: Es kann ein Mittel sein. Aber wie gesagt, ich sehe mich gar nicht als Satiriker. Als Ironiker und Melancholiker vielleicht.
Die Charaktere in Ihrem Buch begleiten Sie sehr intensiv. Gibt es da Entwicklungen? Grünberg: Im allgemeinen ändern sich Menschen nicht wirklich, aber wir sprechen hier ja von Romanfiguren. Die Umstände ändern sich und dann vielleicht doch auch die Menschen.
Haben Sie den Eindruck, Menschen machen sich selbst und anderen etwas vor, um einer gesellschaftlichen Norm zu entsprechen? Grünberg: Aber sicher. Gott sei Dank wissen wir schon, jedenfalls seit Shakespeare, dass wir alle Schauspieler sind, aber wie weit soll diese Schauspielerei führen und was sind die Konsequenzen? Der Politiker, Bezirksbürgermeister Jason Ranzenhofer, ist eine Gestalt, bei der man tatsächlich eine heftige Gänsehaut bekommt, der perfekte Wolf im Schafspelz. Wie sehen Sie unsere »Verantwortlichen«? Grünberg: Macht korrumpiert, nicht wahr? Dazu soll man sagen, dass Macht-Ausüben auch wirklich hässlich sein kann. Ohnmacht ist auch bequem, aber Sadismus und Machthunger gehen oft zusammen.
»Intimität hat Konsequenzen« heißt es einmal. Ist das so? Und die Sehnsucht? Tatsächlich »eine Frage der Höflichkeit«? Grünberg: Intimität kann Konsequenzen haben und ist oft eine Frage der Höflichke it.
Sexuelle Beziehungen laufen unterschiedlich ab, beiläufig, als Spiel mit der Macht, beim Beobachten der Wahlergebnisse im TV. Gibt es noch so etwas wie eine heile Nähe zwischen Menschen, liebevollen Sex , schöne Erotik - oder Liebe? Grünberg: Sex und Macht gehen oft zusammen, aber sogar da kann es tatsächlich noch Liebe geben. Ich würde aber sagen, dass wir die Liebe überschätzt haben. Es ist nicht die Liebe, die uns am Leben hält, es ist oft eine gewisse Unempfindlichkeit. Was nicht heißt, dass es kein Liebe gibt oder dass wir darauf nicht hoffen dürfen.
Leas Spezialthema Holocaust und Rudolf Höß, der Mann, der das Vernichtungslager Auschwitz aufgebaut hat, ist von Anfang an sehr präsent. Völkermord - die von Ihnen geschilderten Personen interessiert das nicht wirklich - oder? Grünberg: Ja und nein. Lea und Oberstein haben da schon ein spezielles Interesse, aber das heißt ja auch nicht, dass es nichts anderes mehr geben kann. Vergangenheit und Gegenwart spielen schon eine Rolle. Wir leben ja nicht auf einer Insel, na ja, wir können so tun, als gäbe es nur uns.
Viele Dialoge oder Bewegungen geschehen per Telefon, per SMS. Ist das inzwischen unser Ersatz für »richtiges Sprechen« miteinander, inklusive der Chance, jemanden sogar wegzudrücken? Grünberg: Ich fürchte ja. Aber auch da sage ich immer, eine SMS ist sicher nicht nur negativ anzusehen. Es ist ein Fehler, die Vergangenheit zu idealisieren. Es war ja nicht früher wirklich alles viel besser.
Dem Professor werden Netzwerke wie Facebook zum Verhängnis. Sind auch Sie da sehr skeptisch? Grünberg: Unser Leben ist durch diese Netze nachvollziehbar geworden. Wer Geheimnisse hat, muss sie immer besser verstecken.
Der pure Ekel: Es gibt ihn körperlich und charakterlich? Grünberg: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Körperlichkeit fast völlig verdrängt ist. Ekel ist oft Angst vor dem Tod.
Sind Sie ein hoffender Optimist? Grünberg: Ich bin eher ein Melancholiker. Kästner hat es schön gesagt: »Wer Optimist ist, soll verzweifeln.«