Arnon Grunberg
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
1997-04-14
1997-04-14, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Und ewig lockt der Tischfußball. Arnon Grünberg feiert einen blauen Montag nach dem anderen


Matthias Bischoff

Manche Romane verdanken ihren Wert vor allem dem Umstand, daß in ihnen eine Stimmung zum Ausdruck kommt, die sie zu einem Dokument macht, das gegenwärtige und auch spätere Leser als typisch für eine bestimmte Zeit empfinden. So zeichnet Arnon Grünbergs romanhafte Autobiographie "Blauer Montag", vielleicht ohne es zu wollen, das Bild einer Generation, die "schon lange keine großen Antworten auf große Fragen mehr erwartet" und vor allem vermeiden will, so zu werden wie die Erwachsenen: "Das schworen wir uns sogar recht feierlich, denn damals wußten wir noch nicht, daß all die alten Säcke sich seinerzeit natürlich das gleiche gesagt hatten." Solche nicht sonderlich tiefschürfenden Erkenntnisse trafen offenbar einen Nerv. Es wurde in den Niederlanden zum Bestseller.

Grünberg, 1971 in Amsterdam geboren, ist Sohn einer jüdischen Familie, die ihre Wurzeln in Deutschland hat. Nicht allein aus Sentimentalität hält der schrullige Vater an seinem wertlosen Reitstall in Berlin fest, liest er immer wieder dieselben Texte von Heinrich Heine. Während die zänkische Mutter, "allergisch gegen die ganze Welt", immer wieder von ihren Kindheitserlebnissen in Mauthausen oder Buchenwald erzählt und die Schwester in Israel wohnt, lehnt Arnon die Berufung auf seine jüdische Identität ab; für ihn ist der Holocaust nur noch ein fernes Wetterleuchten und taugt nicht mehr als Identifikationsmodell. Besonders verächtlich erscheinen dem jungen Mann jene, die die Juden auf die Rolle der leidenden Opfer festlegen wollen. In seinem Haß auf "Möchtegern-Jüdinnen", die zum Judentum übertreten wollen, weil sie sich mit dem Leiden des jüdischen Volkes identifizieren, wird Grünberg drastisch bis zur Geschmacklosigkeit: "Sie sahen alle so aus, als hätte man sie als Babys besser durchs Klo gespült." Und doch kann Arnon seiner jüdischen Identität nicht entkommen. Selbst noch die Prostituierte, die sich an ihm zu schaffen macht, möchte mit ihm gleichzeitig über den Staat Israel diskutieren.

Dabei sind Arnons Nöte nichts weniger als typisch jüdisch. Er ist von Anfang an das, was man im Jargon der Pädagogen wohl einen verhaltensauffälligen Schüler nennt, seine Interessen liegen auf dem Gebiet des Alkoholkonsums, der erotischen Abenteuer und des Schuleschwänzens. Schließlich fliegt er von der Schule, versucht sich teilnahmslos in verschiedenen Jobs, und unversehens gerät ihm sein ganzes Leben zum blauen Montag.

Auch eine unglückliche Liebe gehört zum Inventar dieser Jugendgeschichte, die so etwas ist wie die Schrumpfform dessen, was man einmal als Entwicklungsroman bezeichnet hat. Freilich macht sich der Autor nicht die Mühe, einem fiktiven Helden die kleinen Abenteuer seiner Jugend zuzuschreiben - was Roman ist und was Autobiographie, läßt sich nicht trennen. Doch lange vorbei sind die Zeiten, in denen Hegel - mit Blick auf Wilhelm Meister - von der "Erziehung des Individuums an der vorhandenen Wirklichkeit" sprechen konnte. Die "Prosa der Wirklichkeit" hat Arnon von Anfang an akzeptiert, und ein Subjekt, das sich "die Hörner abläuft", ist hier nicht zu entdecken. Beim Tischfußballspielen sinniert der Held: "Am liebsten hätte ich bis an mein Lebensende so weitergespielt: in dunklen Ecken, wo man die Gesichter der anderen nicht zu sehen braucht und nicht darüber nachdenken muß, was man mit dem Leben anfangen will, und wo einen auch niemand damit vollschwafelt, daß man selbst in der Scheiße noch etwas Positives entdecken kann."

Arnon Grünbergs Erstling ist das streckenweise banale, dann aber doch immer wieder merkwürdig anrührende Porträt des Künstlers als Taugenichts. Im zweiten Teil wird das Buch so formlos wie das Leben Arnons, es zerfällt in eine Reihe von Bettgeschichten. "Die Abstände zwischen den Gesichtern wurden immer kürzer, denn zu welcher ich mich auch legte, jede ließ mich doch nur wieder nach der nächsten verlangen." Am Ende ist Arnon so weit, daß er als Callboy aus seiner Not einen Gelderwerb machen will.

Grünberg ist dann am besten, wenn er das Scheußliche, das Traurige seiner Jugend in einem lakonischen, in der einfühlsamen Übersetzung Rainer Kerstens hin und wieder gar humoristisch eingefärbten Ton erzählt; etwa wenn er von den Alkoholexzessen seiner Mutter oder dem körperlichen Verfall seines Vaters nach einem Schlaganfall berichtet und man zwischen den Zeilen dieses Parlandos unaufdringlich den Schmerz spürt. Daß sich viele Leser, zumal jene unter dreißig, in dieser Lebensgeschichte wiederfinden können, erklärt die unverhältnismäßige Begeisterung, die der Roman, zumindest in den Niederlanden, auslöste.