Arnon Grunberg
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
2004-03-12
2004-03-12, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Gespräch mit einem Koffer. Im Abgang: Arnon Grünbergs Roman über einen Existenzkomiker


Dirk Schümer

Daß ein Verlag den Namen eines Autors eigens für das deutsche Publikum verändert, dürfte nicht häufig geschehen. Doch ist kaum eine Sprache dem Deutschen so fremd wie das tückisch verwandte Niederländisch. Aus irgendwelchen Gründen also heißt Arnon Grunberg hierzulande Grünberg, aber die beiden Zusatzpünktchen im Sprachraum der östlichen Nachbarn erheitern den exzentrischen Schreiber gewiß. Auch der Held seines neuen Romans macht sein Glück in Deutschland: Der abgewrackte, kurz vor der Pfändung stehende Schriftsteller Robert Mehlman - gebürtig aus den Niederlanden, lebend in Amerika - saniert sich mit dem Gelegenheitswerk "Die polnisch-jüdische Küche in 69 Rezepten". "Kochen nach Auschwitz" wird, angeschoben durch das frenetische Publikum in Deutschland, zum Weltbestseller.

Doch Mehlman, dessen stilvollen Niedergang wir da bereits auf knapp dreihundert Seiten begleitet haben, ist schon auf Seite eins unrettbar verloren. Ihm beim Absturz zuzuschauen ist einziges Thema des Romans. Grunberg/Grünberg, Jahrgang 1971, ist weit mehr als ein literarisches Wunderkind. Seit er mit Anfang zwanzig seinen furiosen Erstling "Blaue Montage" vorgelegt hat, schreibt er jedes Jahr ein dickes Buch, manchmal auch zwei. In Zeitungskolumnen legte er pfiffig sein Auswandererleben in New York offen, schreibt über die verehrte Astrid Lindgren, aber auch über vertracktere Literatur, die er aus seinen Büchern schlau heraushält. Inzwischen hat er sich das Pseudonym Marek van der Jagt zugelegt. Und er hat seit dem Erscheinen von "Phantomschmerz" bereits wieder zwei enthusiastisch aufgenommene Romane verfaßt.

Sehr wahrscheinlich ist Grunberg also ein Genie, ein literarischer Jahrhundertglücksfall für ein Land, dessen internationale Vorzeigeautoren - Mulisch, Nooteboom - inzwischen in die Jahre gekommen sind. Aber für den ungeheuren Lesegenuß, den Grunbergs Prosa bereitet, ist sein Pensum unerheblich. "Phantomschmerz" breitet ein sprunghaftes Slapstick-Universum, das stark von Woody Allen und Groucho Marx inspiriert ist, vor dem Publikum aus und schafft dabei doch eine ganz eigene Welt: das schäbige Märchen von Robert Mehlman. Das Schicksal von dessen Vater, der als hoffnungsvolles Tennistalent in Wimbledon seinen Gegner mit dem Schläger verprügelt und ins Bein beißt und damit seine Karriere ruiniert, hat der Filius mit dem achtbaren, doch längst vergessenen Roman "Platz 268 der Weltrangliste" verewigt und es sich dadurch mit seiner sehr jüdischen, sehr resoluten, sehr auf Renommee bedachten Mama verscherzt.

Mehlman setzt mit seiner Frau in New York einen Sohn in die Welt, den er auf den gemeinen Namen Harpo Saul taufen läßt und - so geht die Geschichte aus der Perspektive des Stammhalters überhaupt los - gnadenlos mit seiner Lebensphilosophie vollpumpt. Eine Auswahl: "Du mußt sterben, bevor dein Geld alle ist, sonst wirst du den Menschen nur zur Last." Oder: "Wenn Leute erst mal beschlossen haben, Schluß zu machen, geht es ihnen auf einmal viel besser." Oder: "Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, fährt man am besten volle Kraft voraus." Oder: "Ich finde es angenehm, mich mit Behinderten und anderen Leuten im Verfall zu umgeben. Es macht die eigene Situation so erträglich."

Die Rede vom Verfall führt selbst die gutwilligsten Leser auf die Spur, daß Grunberg vielleicht, gewiß aber seine Romanfiguren einen fatalen Hang zum Untergehen haben. In irrwitziger Selbstauslöschung, in einem permanenten russischen Roulette mit dem Leben mißt sich Mehlman mit seinem absurden Universum - eine Partie, die er nur verlieren kann und das wohl auch aus tiefstem Herzen möchte.

Grunberg unterfüttert diesen furiosen Abgang, der seinen Mehlman mit obskuren Agenten, Geliebten, verrückten Greisinnen und immer wieder der verzweifelten Gemahlin aneinandergeraten und um die Welt reisen läßt, durch ein Feuerwerk zynischer Pointen. So arbeitet die leidensbereite Frau Mehlman in einer psychiatrischen Klinik an einer Dissertation über einen Mann, der seit zwanzig Jahren mittels seiner Zellenwand mit der CIA kommuniziert. Aber hören wir den Erzähler selbst: "Dank meiner Mutter erkannte er, daß er zwanzig Jahre lang umsonst mit einer Wand geredet hatte. Das war zuviel für ihn, und er stürzte sich in einen Fahrstuhlschacht." Andere Autoren würden es mit dieser böswitzigen Wendung bewenden lassen, aber nicht Grunberg. Er schließt: "Das war ein Wermutstropfen in der Promotionsfeier meiner Mutter, schließlich war der Mann dort als Ehrengast geladen worden."

Im kunstlosen Hintereinander solcher Kürzestdramen kümmert sich der Autor nicht sonderlich um eine ausgeklügelte Romanhandlung. Wie Mehlman einfach nur draufloszuleben scheint, so wuselt sich auch die Story immer weiter, bis man merkt, daß dieses Leben nicht auf eine Katastrophe hinsteuert, sondern selbst bereits eine ist. Für Abwechslung sorgt die penetrante Anwesenheit von Mehlmans lethargischer Geliebten, die er "Hohle Nuß" benennt. Das ist eine akzeptable Behelfsübersetzung des eigentlichen Begriffs "Leeres Faß", wie Grunbergs bitterböse Parlando-Lakonik von Rainer Kersten überhaupt ausgezeichnet übertragen wurde.

Es wird Leser geben, die dieses Panorama durchgeknallter Existenzkomiker irgendwann langweilt, die nicht die Bekanntschaft von Joseph Capano machen wollen, einem Impresario, der in Notzeiten vom Verkauf von Schirmen lebt, die er nach abflauenden Regengüssen in New Yorker Nobelrestaurants einsammelt. Die nichts von Mehlmans Ratschlag für die notleidende Verlagsbranche hören wollen, Bücher notfalls auf Schlafzimmergardinen zu drucken.

Aber es wird auch Leser wie diesen geben, die sich von der Verzweiflung und der Einsamkeit, die hier virtuos im Slapstick verpackt sind, anrühren und fesseln lassen. Natürlich liefert Grunberg, dem es zu banal wäre, pathetisch von einer sinnlosen Welt und seiner Untergangsstrategie offen zu sprechen, seine Ästhetik in einem Zweizeiler mit: "Meine Konversation lebt von Beiläufigkeit und Überraschung. Wie wenn man von einem Koffer redet, von dem man nicht weiß, was drin ist." Grunberg, alles andere als eine hohle Nuß, scheint für ein hoffentlich langes Autorenleben, an dessen natürlichem Ende er dann um die hundert Romane fertiggestellt hätte, jedenfalls noch jede Menge Koffer bereitstehen zu haben.

Sein Mehlman wird übrigens gegen Ende von zwei Carabinieri am Strand von Sabaudia nach Widersetzlichkeiten zum Krüppel geschossen, ohne jede Pointe. Und doch behält der Erfolgsautor von "Kochen nach Auschwitz" in diesem Meisterwerk das letzte Wort, als er von seinem Sohn mit dem Siechtum konfrontiert wird: "Das sind nur Gerüchte, die deine Mutter verbreitet." Und wer die Kraft hat, Schmerz und Tod als Gerüchte abzutun, der hat diese an schlechten Lachern überreiche Welt heldenhaft überwunden.