Arnon Grunberg
Buchkultur,
2005-08-01
2005-08-01, Buchkultur

Das Ende der Heiterkeit


Thomas Hierl

In einem Gespräch mit Arnon Grünberg geht es auch schnell um Sexualität, Beziehungen und vor allem Glück oder besser, die Illusion vom Glück.

Als ARNON GRÜNBERG so Anfang 20 seinen Erstling vorlegte, hatte er auch gleich sein erstes Etikett weg, nämlich „literarisches Wunderkind". Mittlerweile sind eine Reihe von Romanen gefolgt, auch Theaterstiicke, Reportagen. Er ist sehr produktiv, hat unter einem Pseudonym schon veröffentlicht, und war auch damit erfolgreich. So wurde er zweimal mit einem Debütpreis bedacht, was ihm wiederum manche übel nahmen. Doch geplant war das nicht.
Im Mittelpunkt seines letzten auf Deutsch erschienenen Romans steht ein Paar, das schon lange zusammenlebt. Nicht nur der Alltag ist in der Beziehung heimisch, sondern eine ordentliche Portion Tristesse. Sie ist Wissenschaftlerin, er ein ehemaliger Literat namens Beck, der allerdings keine Bücher mehr schreiben möchte, sondern durch das Verfassen von Gebrauchsanweisungen sein Dasein fristet. Es ist eine gewisse Form von Intimität aufrecht, doch von Sexualität ist nicht mehr die Rede. Da stellt sich heraus, dass die Frau krank ist, schwer krank, und plötzlich geht das Leben aus den Fugen. Sie lernt nämlich einen Asylbewerber kennen, will ihn heiraten und dieser zieht auch in den gemeinsamen Haushalt. Hier könnte nun die Ironie einsetzen, die von Grünberg erwartet würde, doch mit einer vordergründigen Form von Heiterkeit hat er abgeschlossen. Nun entwickelt sich eine eigenwillige Dreiecksgeschichte, in der Beck sich, sein Leben, aber auch unsere Gesellschaft einer Prüfung unterzieht.

BUCHKULTUR: In einigen Artikeln tauchen immer dieselben Schlagwörter in Zusammenhang mit Ihrer Person auf, nämlich mysteriös und sexuell ausschweifend. Und als Zuckerguss noch die Trademark „enfant terrible" der Literatur.

Man hat es nicht immer im Griff, wie ein Image entsteht oder wie andere mich beschreiben. Vielleicht denken manche Leute, wenn es in meinen Büchern auf eine gewisse Art und Weise zugeht, dann wird er wohl auch so leben. Doch lebe ich schon mal nicht in Holland sondern in New York. Wirklich stört mich aber die Bezeichnung „enfant terrible", denn ich bin jetzt 34 Jahre alt, und da hört man schon langsam auf, ein „enfant" zu sein. Aber wenn es einmal irgendwo zu lesen war, wird es gerne immer wieder verwendet.

BUCHKULTUR: Es begann doch mit Ihrem ersten Romart „Blauer Montag". Der wurde zum Teil als autobiografisch gesehen.

Deshalb war es für mich schon interessant, wie „Amour fou" in Holland aufgenommen wurde. Da haben die Rezensenten anfangs nicht gewusst, wer dahinter steckt und zumindest auf einer emotionalen Ebene wurde viel autobiografisches Material darin verarbeitet. Die Fakten haben aber fast nichts mit meinem Leben zu tun. Ich glaube nicht, dass ich an dieser Mystifizierung mitarbeite.

BUCHKULTUR: Zwei Themenkreise tauchen immer in Ihren Büchern auf, nämlich Sexualität und die Beziehung zwischen Männern und Frauen. Es kommt nicht vor, dass Männer und Frauen ...

...glücklich zusammenleben. Das ist richtig, das pure Glück ist auch kaum zu erreichen. Sicher kommt Sexualität in jedem meiner Bücher vor, doch sie gehört auch zum Menschen und jedes Mal taucht sie in anderen Erscheinungsformen auf. Das ist aber nicht leicht auf mein Leben zurückzuführen. Was in Liebesdingen abläuft, nicht nur zwischen Mann und Frau, ist meist problematisch.

BUCHKULTUR: Warum sind aber diese drei Punkte, Sexualität, Beziehung, Suche nach Glück so wichtig?

Beziehungen sind wichtig, das zeigt sich auch in „Der Vogel ist krank", denn alleine kann man nicht wirklich leben. Man versacht also Anknüpfungspunkte an andere zu finden und da fangen die Probleme an. Deshalb sind aber nicht immer die anderen die Hölle für einen. Man kann auch selbst die Hölle für sich sein. Sobald es eine gewisse Intimität zwischen zwei Menschen gibt, fängt die Komödie an, die Tragödie an und fangen die Probleme an. Sehr oft wird die Intimität durch das Sexuelle dargestellt und man sieht sich selbst auch immer durch die Augen der anderen. Man kann sich an der Vorstellung delektieren, wie ein einsamer Wolf durch die Wüste zu streichen, aber ich glaube das ist die Fantasie eines 18-Jährigen.

BUCHKULTUR: Bei „Blauer Montag" oder „Amour Fou" waren die Protagonisten jünger, bei „Phantomschmerz" und auch im letzten Roman sind sie älter. Wollten Sie Leute ausprobieren, die älter sind als Sie?

Nicht unbedingt. Ich fühle mich nicht immer wie 34, ich fühle mich manchmal jünger und manchmal älter.

BUCHKULTUR: Bei diesem Paar, das im Mittelpunkt steht, hat der Mann einen Namen. Sie hingegen ist zwar eine Wissenschaftlerin, doch hat sie keinen, und sie selber spricht auch von sich in der dritten Person. Diese Beziehung war von vornherein ungleich und nicht die zweier Personen, die sich in die Augen sehen können.

Man sieht die Welt durch die Augen von Beck, doch ist sie auch aktiv. Sie holt ja diesen Mann ins Haus, weil sie sieht, dass es keine normale Beziehung mehr werden kann. Sie ist der Katalysator für die ganze Geschichte. Aber ich denke doch, in jeder Beziehung gibt es ein Objekt und ein Subjekt. Ich glaube es ist eine Illusion, dass es eine völlig gleichwertige Beziehung geben kann.

BUCHKULTUR: Nun erklärt sie ihm, dass sie seit Jahren keine sexuelle Beziehung mehr haben. Und sie sind trotzdem noch zusammen.

Sie können voneinander nicht lassen.

BUCHKULTUR: Dieses Sich-nicht-trennen-können taucht auch bei Ihnen öfters auf. Eine Beziehung funktioniert nicht, aber trennen kann man sich auch nicht?

Man kann auch sagen, es ist hoffnungsvoll, dass man sich nicht trennen kann. Es gibt auch etwas Hoffnungsvolles für mich. Es gibt keine sexuelle Intimität mehr, aber es gibt dafür eine andere Art von Intimität und damit eine Beziehung. Sie sind nicht völlig isoliert. Er ist noch gebunden an die Welt durch diese Frau.

BUCHKULTUR: Geht das überhaupt, eine Beziehung ohne Sexualität?

Das geht sehr wohl. Das Tabu heutzutage ist nicht mehr Sex, sondern ist kein Sex. Ich glaube es gibt viele Beziehungen ohne Sexualität, die trotzdem funktionieren. Das habe ich bei meinen Lesungen gespürt, da fangen die Leute an, über ihre Sexualität zu erzählen.

BUCHKULTUR: In einer Rückblende erzählen Sie, wie dieses Paar, allerdings jeder für sich, einen Menschen zu retten versucht, der auf seine Art jeweils behindert ist. Da werden Sie drastisch in ihren Schilderungen auch bei der Sexualität.

Es ist vielleicht auch ein Heilungsprozess, um etwas Krankes in sich zu heilen. Hohes Fieber etwa bekämpft auch die Bakterien im Körper. Ich glaube dieses Buch hat sehr viel mit Schuld zu tun. Man kann sich nicht trennen, da eine Trennung vielleicht der Beweis für die Schuld wäre. Eigentlich macht eine Beziehung schuldig.

BUCHKULTUR: Das Thema Schuld und wie damit umzugehen, kenne ich aus einem katholischen Kontext. Man muss das ganze Leben büßen. Das ist doch nicht Ihr Kontext?

Auch in der jüdischen Religion kommt diese Schuld immer wieder hoch. Alle monotheistischen Religionen sind geprägt von Schuld. Unsere Kultur ist geprägt von Schuld, das können nicht nur die Katholiken sehr gut.

BUCHKULTUR: Da sind auch teilweise sehr brutale Szenen. Ironischer, sarkastischer oder einfach kornischer waren Ihre früheren Bücher.

Da gab es mehr zum Lachen, das gebe ich zu. Dieses Buch ist vielleicht weniger heiter als andere Bücher, ich bin aber auch fertig mit einer bestimmten Form von Heiterkeit und zu dieser Geschichte hätte es auch nicht gepasst.

BUCHKULTUR: „Der Vogel ist krank" ist im Original schon vor zwei Jahren erschienen. Sie haben sicher schon einen neuen Roman in Arbeit. Tauchen da wieder die bekannten Themen auf?

Sicher spielen auch im neuen Roman Sexualität und Beziehungen wieder eine Rolle, doch er wird politischer. Meine Erfahrung ist nun mal, dass glückliche Menschen in der Minderheit sind und wenn man einen glücklichen Menschen trifft, ruft er sofort Aggressionen hervor. Man möchte gleich sagen, pass auf, es wird nicht lange dauern, besonders wenn es um die Liebe geht. Bei Lampedusa steht sinngemäß der Satz, „ich kenne die Liebe, ein Jahr Feuer und 50 Jahre Asche".

BUCHKULTUR: Sie sagten einmal, ein Schriftsteller bestimmt, was in einem Buch geschieht, im Leben ist man weniger frei, da läuft man Gefahr, ständig Niederlagen zu erleiden.

Ich glaube nicht, dass ein Schriftsteller ein Gott ist, doch er hat mehr Freiheiten als im realen Leben und auf alle Fälle als in einer Beziehung. In einer Beziehung gibt es immer die Abhängigkeiten. Man kann den anderen zum Objekt machen, doch nie wirklich in den Griff bekommen.