Arnon Grunberg
Salzburger Nachrichten,
2005-04-16
2005-04-16, Salzburger Nachrichten

Desillusioniert


Katherina Pektor

zufrieden gibt. Er lebt mit einer Frau, die er „seine Frau" nennt, obwohl er mit ihr nicht verheiratet ist und schon lange keinen Sex mehr hat. Sie, der Vogel, ist schon zu Beginn des Romans todkrank und heiratet kurz vor ihrem Tod einen jungen algerischen Asylbewerber, den sie in die gemeinsame Wohnung aufhimmt. Beck wird in das Bett unter der Garderobe abgeschoben.
Von nun an führen sie eine Dreiecksbeziehung. Spätestens hier, so dürfte das von Grünberg intendiert sein, fragt man sich, was da eigentlich los ist. Grünberg liefert die Antwort in Rückblenden in das Leben des Paares in Eilat (Israel), wo Becks Frau Wüstentiere erforscht hat.
Becks Ethos ist, Selbstbetrug aufzudecken, wo immer er ihn findet. Alles was ein Glücksgefühl erzeugen könnte - Liebe, Arbeit, Freunde - hält er für Illusionen, also Selbstbetrug. Sein Desillusionierungsprogramm ist unerfreulich erfolgreich. Er verliert nicht nur seine Freunde, sondern zerstört auch die Liebesbeziehung zu seiner Frau. Er tötet jedes aufkommende Gefühl von Verliebtsein, Nähe oder Hingabe, indem er zu Huren geht. Zuletzt tut er das täglich. Das Bordell wird in langwierigen und ermüdenden Szenen als Zentrum der Illusionslosigkeit beschrieben. Irgendwann stellt ihn seine Frau, ihrerseits seit vier Jahren ohne Mann, zur Rede. Aus der Verletzung, nicht mehr begehrt zu sein, startet sie nunmehr ihr eigenes, als Idealismus und Altruismus getarntes Projekt der Selbstzerstörung. Vor den Augen ihres Mannes schläft sie mit anderen Männern, Krüppeln und Asylanten. Das vergrößert ihren Schmerz und sein Schuldgefühl. Eine unselige gegenseitige Abhängigkeit entsteht, die eine Trennung unmöglich macht und die Frau in den Tod, ihren Mann in den Wahnsinn treibt.
Geschrieben ist das alles sehr gekonnt. Am Ende wird man aber doch den Eindruck nicht los, dass die Geste des Romans für den erzählten Gehalt etwas zu groß geraten ist. Anstatt gesellschaftliche Konventionen zu entlarven, verstrickt Grünberg den Leser in die Gefühlsgrotesken zweier gemeinsam unglücklicher Menschen.

Der 34-jährige Schriftsteller Arnon Grünberg, der in der niederländischen Literaturszene als Wunderkind gehandelt wird, legt mit „Der Vogel ist krank" bereits seinen fünften Roman vor.

Schon der eigenartige Titel des Romans macht eine Zuordnung zunächst unmöglich. „Der Vogel ist krank" lässt kaum eine spannende Geschichte, auch keine ernste, sicherlich auch keine hohe Literatur erwarten - am ehesten vielleicht eine absurde oder humoreske Erzählung. Obwohl das nur der Titel der deutschen Übersetzung ist, wird dieses erste Gefühl der Unbestimmtheit auf 500 Seiten bestätigt. Der Roman hat von allem etwas und lässt den Leser etwas ratlos zurück.
Der Klappentext verspricht eine „spannende Dreiecksgeschichte", eine „anrührende liebesgeschichte" und eine „gnadenlose Abrechnung mit gesellschaftlichen Konventionen" - und all das bringt der Roman nicht. Es geht um eine in fürsorglicher Freundschaft versandete, traurig anzusehende Liebe, die sich nur durch ein Spiel von unterschwellig zugefügten Verletzungen und offenen Schuldzuweisungen aufrecht hält. Das allein wäre bei einer langjährigen Beziehung nicht unbedingt ungewöhnlich. Auffällig wird es nur durch den absonderlichen Grad der Verrücktheit, der zwischen Beck und seiner Frau mit dem Kosenamen Vogel oder Vögelchen herrscht.
Beck ist ein ehemaliger Schriftsteller, der sich jetzt mit der Übersetzung von Gebrauchsanweisungen



Szenen als Zentrum der Illusionslosigkeit beschrieben. Irgendwann stellt ihn seine Frau, ihrerseits seit vier Jahren ohne Mann, zur Rede. Aus der Verletzung, nicht mehr begehrt zu sein, startet sie nunmehr ihr eigenes, als Idealismus und Altruismus getarntes Projekt der Selbstzerstörung. Vor den Augen ihres Mannes schläft sie mit anderen Männern, Krüppeln und Asylanten. Das vergrößert ihren Schmerz und sein Schuldgefühl. Eine unselige gegenseitige Abhängigkeit entsteht, die eine Trennung unmöglich macht und die Frau in den Tod, ihren Mann in den Wahnsinn treibt.
Geschrieben ist das alles sehr gekonnt. Am Ende wird man aber doch den Eindruck nicht los, dass die Geste des Romans für den erzählten Gehalt etwas zu groß geraten ist. Anstatt gesellschaftliche Konventionen zu entlarven, verstrickt Grünberg den Leser in die Gefühlsgrotesken zweier gemeinsam unglücklicher Menschen.