Arnon Grunberg
Hannoversche Allgemeine Zeitung,
2005-03-14
2005-03-14, Hannoversche Allgemeine Zeitung

Der Kaputtmacher. Ein Romanheid ringt mit seinem Weltekel und mit sich selbst: Arnon Grünbergs kluges Buch „Der Vogel ist krank"


Peter Kohler


Schriftstellers plötzlich aktuell, als ein Selbstmordattentäter nach dem Muster der Erzählung vorgeht. . . .
In seinem Roman „Phantomschmerz" hatte der 1971 in Amsterdam geborene und in New York lebende Arnon Grünberg einen Mann geschildert, der das Leben sucht und doch nie wirklich bei sich selbst ankommt. Diesmal geht es umgekehrt um einen, der das Leben flieht; und weil man aus der Entfernung mehr sieht, ist dieses Buch randvoll von klugen Einsichten, etwa: „Er konnte weder das Wort ‚Freund’ noch ‚Freundschaft’ aussprechen ohne den sarkastischen Ton eines Menschen, der alle Freundschaft durchleuchtet und dabei immer nur die Kassenbücher eines Buchhalters entdeckt, hat, der seine Unterschlagungen zu verbergen sucht." Oder über Sprache: „Worte bilden die Wirklichkeit nicht ab, sie sind das Öl, mit dem einem das Zäpfchen Wirklichkeit leichter in den Hintern rutscht." Manchmal - denn Beck hat zu viel Gehirn, weshalb ihm schon ein Riss in der Kleidung zuin Sinnbild für die Widersprüche im Leben wird - geht dieser Gedankenroman allerdings auch in den Tiefen der Bedeutung verloren.
Im Original heißt der neue Roman „De asielzoeker", der Asylbewerber: Ein solcher ist im Grunde nicht nur der Algerier, sondern auch Christian Beck, ein Mensch ohne innere Heimat, ohne seelische Bindung, der am Ende aller Niederlagen sich selbst findet - oder das, was von ihm übrig ist: auf einer Parkbank, im Regen, unter Bäumen, „und endlich sieht er alles, was er verloren hat". Der Leser hingegen kann viel gewinnen bei diesem Roman, den man auch als Abrechnung mit einem als Weltekel maskierten Narzissmüs, mit einer selbstgerechten Verantwartungslosigkeit lesen kann, die das eigene Ich über alles stellt, selbst über Freunde, Geliebte und den ganzen Rest.

Lebenslügen aufdecken und dabei selbst Freunde nicht schonen, die Illusionen der Politik, der Liebe, der Familie zerstören, das Dasein als Betrug und Selbstbetrug durchschauen, Distanz zu allem und sogar sich selbst haben: Darin erblickt Christian Beck, der vor Jahren die Schriftstellerei aufgegeben hat und nun als Übersetzer von Gebrauchsanweisungen arbeitet, seine Berufung. Doch dann droht die festgefügte Lebenseinstellung dieses Nihilisten ins Wanken zu geraten: Seine Freundin, von ihm „Vogel" genannt, ist krank, todkrank. Und sie heiratet, vielleicht um noch etwas Gutes zu tun, einen jungen algerischen Asylbewerber, der nach der Trauung nonchalant bei ihnen einzieht.
Was wie der Beginn einer tragikomischen Dreiecksgeschichte aussieht, entwickelt sich unter der Hand des niederländischen Autors Arnon Grünberg zu einer schwerblütigen, gedankenschweren Auseinandersetzung, einem Kampf weniger der drei Personen miteinander als einem Ringen Becks mit sich selbst. Ausgerechnet er, der die Illusionslosigkeit zum Dogma erhoben hat, muss sich und seiner sterbenskranken Freundin Hoffnung spenden: „Um zu leben, um weiterzumachen" sagt er, „muss es etwas geben, was einen an andere Lebende bindet: ein Ideal, so etwas wie Hoffnung, irgendeine Erwartung, selbst eine negative", doch Beck erkennt: „Es gab nichts mehr."
Sein Nihilismus scheint sich als nichtig zu erweisen, schlimmer noch: „Alles geht in deiner Nähe früher oder später kaputt", sagt seine Freundin; und wie um ihrer privaten Anklage die gesellschaftliche Dimension hinzuzufügen, wird eine alte Erzählung des gewesenen