Arnon Grunberg
Westdeutsche Allgemeine Zeitung,
2006-03-10
2006-03-10, Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Wenn ein Affe das Glück stiftet. Der neue Roman von Arnon Grünberg ist berührend, vor allem aber beklemmend


Gudrun Norbisrath


„Het aapje dat geluk pakt". Tatsächlich ist es ein Affe -nämlich ein blindwütiges Schicksal, das hier ein fragwürdiges Glück stiftet.
Jean Baptiste Warnke ist zweiter Mann der niederländischen Botschaft in Lima, mit der schönen Aussicht, einmal erster zu werden. Er führt ein dekadentes Nichtsnutzerleben, hat eine entzückende Frau und zwei reizende Töchter, und auf der ersten Seite wird mitgeteilt, dass seine Zufriedenheit fast schon etwas Anstößiges habe. Der nächste Satz lautet: „Schöner kann das Leben nicht mehr werden", und das ist perfide, denn die folgenden 159 Seiten zeigen, um wieviel schöner es wird, als er überraschend bekommt, was er sich wirklich wünscht: Sex und eine verrückte Liebe.
Warnke ist hingerissen von seiner ernsten jungen Geliebten. Er flüstert: „Ich liebe dich", und glaubt es selbst, doch es ist die Formel der Zivilisation für gierige Lust. Er schreibt ihr Gedichte, die sie zu seiner Erregung halbnackt liest, und Warnke beginnt zu träumen: von einem fieberhaften, endlosen Glück, aber auch davon, dass er seine Kinder ersäuft wie junge Katzen.
Amon Grünberg erzählt das alles lapidar, wie mit dem klei- nen Schulterzucken, mit denen man das Ausrasten einen Fremden schildert, Wamke ist aber kein Fremder, in seine exaltierten Leiden und Freuden entdeckt der Leser eine irritierende Nähe, zur eigene Emotionalität, und das macht die Geschichte beängstigend.
Merkwürdig auch, dass man das lange bloß als wüste Lie- besgeschichte lesen kann auch, als längst klar ist, dass Malena Terroristin ist. Sie benutzt Warnke als Boten, rettet ihn aber auch vor einer Geiselnahme. In einer anderen Facette blitzt die Einsicht auf dass Warnke sich des Mädchens bedient, um seinen gleichförmigen Leben zu entfliehen. Beziehungen haben verschiedene Seiten; Grünberg weiß das und schildert es so zwingend, dass man am Ende das Buch erschrocken zuklappt. So genau wollte man es vielleicht gar nicht wissen.

Wer ist dieser Arnon Grünberg? Kaum 35-jährig, weiß er erschreckend viel über Beziehungen; über Glück und Unglück, die sie bringen. Nicht immer in dieser Reihenfolge.
Manchmal scheint es, dass Grünberg wirklich alles weiß. Furchtbar, wie er in „Der Vogel ist krank" eine Beziehung schilderte, die nur einem Bedürfnis folgt - einen Schutzwall zu behaupten nach außen, gegen die Welt. Und die, als die Frau todkrank wird, aus Gleichgültigkeit und gelegentlich aufflammendem Hass zu einer Fürsorge und Zärtlichkeit findet, die sie nie zuvor hatte: ein anderes Spiegelbild der Einsamkeit. Als die Frau stirbt, ist der Mann verloren.
Ähnlich endet Grünbergs neuer Roman „Gnadenfrist". Wieder schreitet der Autor mit traumwandlerischer Sicherheit durch blecheme Kalauer und melancholische Scherze zu seiner bitteren Pointe.
Das Buch hat einen merkwürdigen Titel, nicht nur, weil es das Wort „Gnadenfrist" nicht gibt. Es gibt eine Galgenfrist, und vielleicht ist die komplizierte Verwirrung Absicht. Genauer ist der Originaltitel: