Arnon Grunberg
Die Welt,
2006-03-04
2006-03-04, Die Welt

Grünberg lässt Diplomaten liebesleiden


Hendrik Werner

Das Diplomatenleben, so scheint es, birgt für niederländische Romanciers eine gewisse Anziehungskraft. So schrieb Leon de Winter in den neunziger Jahren mit "Hoffmans Hunger", dieser melodramatisch unterfütterten Posse um einen freßsüchtigen und schlaflosen Botschafter, seinen vielleicht besten, in jedem Falle komischsten Roman. Darin verfällt der in mehr als einer Hinsicht hungrige Gesandte in Prag den Becircungskünsten einer Agentin - und wird für ihre Zuneigung seinerseits zum Spion.

Ein Spitzenhöschenfetischist oder Schelm, der Epigonales dabei denkt, daß im jüngsten Roman von Arnon Grünberg eine ähnliche Konstellation zu schlimmstmöglichen Wendungen und bestmöglichen Pointen führt. Sein Protagonist Jean Baptist Warnke - angemessene Selbsteinschätzung: "Mit so einem Namen kann man eigentlich nur Diplomat werden" - verdingt sich als zweiter Mann an der niederländischen Botschaft in Lima. Er ist konfliktscheu, behäbig, regelkonform und etwas ungelenk, mit seinem Leben aber alles in allem zufrieden. Nicht so sehr, weil das Klima in Lima so prima wäre. Vielmehr, weil er sich bei seiner Frau Catherina und den beiden kleinen Töchtern aufgehoben fühlt, die ihn bei seiner Mission in der peruanischen Hauptstadt begleiten. Und weil das Gewohnheitstier einen, euphemistisch gesprochen, ziemlich unaufwendigen Job hat, dessen größte Herausforderung noch die Recherche ist, ob ein hochrangiger Besucher aus den Niederlanden nun Vegetarier ist oder man ihm womöglich mit gegrilltem Fleisch eine Freude bereiten kann.

Eines Tages jedoch erliegt Warnke bei seinem rituellen nachmittäglichen Abstecher in ein Café dem verführerischen Zauber von Malena, einer jungen Einheimischen. Als ihn die vorgebliche Studentin zu einem Konzert, an dem sie mitwirkt, einlädt und ihm anschließend auch noch die libidinösen Flötentöne beibringt, ist es um Warnkes diplomatische Contenance geschehen. Er, der sich aus allem raushält, was ihm Probleme bescheren oder gar Flexibilität abverlangen könnte, wird so sehr amourös verstrickt, daß früher unumstößlich gewähnte Gewißheiten holterdiepolter hinfällig werden.

Das kann nicht gut enden, wie Warnke spätestens schwant, als Tupac-Amaru-Rebellen bei einem festlichen Empfang zu Ehren des Geburtstages des japanischen Kaisers Akihito in der Japanischen Botschaft nahezu 500 Geiseln nehmen - und Malena plötzlich verschwunden ist. Zumal in den Niederlanden die Frage laut und dringlich wird, warum kein Angehöriger ihrer Vertretung bei der Feier zugegen war. Auf der Suche nach eigenen Antworten wankt Warnke zusehends in Sphären und Verhaltensweisen, die seinem Berufsethos und seinem Phlegma kategorisch zuwiderlaufen. Daß Malena ihn benutzt, ihn ausspioniert haben könnte, kommt ihm dabei nicht in den Sinn. Schließlich würde er alles für sie tun, sogar sterben.

Für sein subtiles Psychogramm dieses liebesverblendeten Mannes, der unversehens vom Biedermann zum Brandstifter mutiert, dient Arnon Grünberg die historisch verbürgte Geiselnahme aus dem Jahre 1996 nur als spektakuläre Hintergrundkulisse. Anders als Ann Pratchett, die in ihrem Roman "Bel Canto" (2002) das nahezu viermonatige Drama, das mit der Erstürmung der Botschaft und der Erschießung aller Guerillero-Geiselnehmer endet, zum authentischen Ausgangspunkt phantasievoller Verfremdungen macht. Arnon Grünberg wählt die unerhörte Begebenheit als Nebenschauplatz einer spannenden Seeleninspektion, die allerdings ähnliche Verwüstungen zutage fördert wie das Verbrechen in der Japanischen Botschaft. Er fügt damit seiner staunenswert langen Reihe an schwächelnden, aus der Bahn geworfenen Mannsbildern - zuletzt der manisch passive Schriftsteller Christian Beck in dem Roman "Der Vogel ist krank" - ein besonders bedauernswertes Exemplar hinzu. Denn die Zielsicherheit, mit welcher der tragikomisch gezeichnete Jean Baptist Warnke auf den Abgrund zuhält, läßt einen während der Lektüre unweigerlich bänglich "Achtung, Kasper!" wispern.

Arnon Grünbergs neuer Roman ist geradlinig, gewitzt, gelungen. Vor allem aber ist er um einiges ausgereifter als seine letzten Bücher, die bisweilen den Eindruck erweckten, es gehe dem niederländischen Ex-Wunderknaben vor allem um den größtmöglichen Output. Es steht ihm gut, weniger wild zu fabulieren, dafür aber mehr Energie auf die Stimmigkeit seiner Figuren zu verwenden. Alles eine Frage der Abwägung, alles eine Frage des, nun ja, diplomatischen Geschicks.