Arnon Grunberg
FM 4 ORF,
2006-04-09
2006-04-09, FM 4 ORF

Lesestoff


Mari Lang

Charlotte Bronte hat es getan. Stephen King und Ann Rice auch. Wenn Schriftsteller unter einem Pseudonym schreiben, haben sie meist einen mehr oder minder guten Grund, so wie der Niederländer Arnon Grünberg.
Sein Debütroman "Blauer Montag" über einen zerrissenen, jungen Mann, der sich im Amsterdamer Rotlichtviertel herumtreibt, hat vor 12 Jahren in der Literaturlandschaft wie eine Bombe eingeschlagen. Arnon Grünberg war von heute auf morgen ein Star - seine Person gefragter als seine Bücher. Und deshalb hat er vor sechs Jahren beschlossen, auch unter dem Pseudonym Marek van der Jagt zu schreiben - mit der Folge, dass wieder mehr über den geheimnisvollen Autor gesprochen wurde als über dessen Bücher. Mittlerweile schreibt Arnon Grünberg nur mehr unter seinem richtigen Namen. Sein letztes Buch "Gnadenfrist" ist vor kurzem erschienen.

Gnadenfrist

Wie schon seine vorangegangenen Bücher zeichnet sich auch "Gnadenfrist" vor allem durch die skurile, rasante Geschichte und die kompakte Sprache aus. Der Roman erzählt von einem biederen niederländischen Diplomaten in Peru, der, als er eine einheimische Studentin kennen lernt, jäh aus seinem eintönigen Leben gerissen wird. Er betrügt seine Frau, schreibt der jungen Peruanerin heiße Liebesgedichte und findet sich schließlich in einem Terroranschlag verstrickt wieder.

Arnon Grünberg schlägt in dieser Erzählung ernstere Töne als in seinen früheren Romanen an und hat "Gnadenfrist" an eine reale Begebenheit angelehnt, die ihm ein holländischer Botschafter erzählt hat. 1996 wurde in Lima tatsächlich die japanische Botschaft von Rebellen gestürmt und die gesamte Belegschaft als Geiseln genommen. Angeblich hatte der niederländische Botschafter auch wirklich eine Affäre mit einer Terroristin. Aber nicht nur dieses politische Ereignis, sondern auch die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben Arnon Grünberg, der seit vielen Jahren in New York lebt, zu "Gnadenfrist" inspiriert. Ist das ehemalige "Enfant Terrible" der niederländischen Literaturszene etwa erwachsen geworden?

Wie aus einem Film

Wenn man ihn sieht und mit ihm spricht, merkt man zwar, dass er mit seinen 35 Jahren sicherlich kein "Enfant" mehr ist, aber eine Art Schelm ist er trotzdem noch. Ähnlich wie Woody Allen, bei dem man trotz seiner 71 Jahre immer das Gefühl haben wird, dass er irgendwie ein kecker Bub ist.
"Ich wollte einfach etwas anderes von meinem Leben als meine Eltern und meine Lehrer, und um das zu bekommen, um seinem Leben Form zu geben, muss man ja auch rebellisch sein und gegen den Strom schwimmen", sagt Arnon Grünberg, dessen Biografie so klingt, als wäre sie einem Drehbuch für einen Film wie etwa "Einstein Junior" entsprungen. Der Niederländer mit dem verschmitzten Lächeln und dem wilden Lockenkopf ist als Jugendlicher vom Gymnasium verwiesen worden. Dann hat er eine zeitlang als Apothekenhelfer, als Tellerwäscher und als Verleger gearbeitet, bis er mit seinem Debüt "Blauer Montag" den großen Durchbruch als Schriftsteller hatte. Seitdem schreibt Grünberg fast jährlich einen neuen Roman - einer origineller, komischer, und lesenswerter als der andere. Immer geht es aber um Männer, die innerlich zerrissen und privat oder beruflich gescheitert sind.

Befriedigt die Voyeuristen

Es ist die offen zur Schau getragene Menschlichkeit, die Arnon Grünbergs Geschichten so sympathisch macht und die den Voyeur, der in jedem von uns steckt, hervorragend befriedigt. Ob in seinem letzten Roman "Der Vogel ist krank", in dem ein gescheiterter Autor, dem Sex und überhaupt allen Freuden des Lebens abschwört oder in seinem aktuellen Buch "Gnadenfrist" - schön haben es Grünbergs Protagonisten allesamt nicht. Dass seine Geschichten trotzdem nicht traurig und depressiv wirken, liegt vor allem an der Art wie sie geschrieben sind: lakonisch-witzig und voller genialer Wortspiele - fast jeder zweite Satz ist zitierfähig. Zum Beispiel: "Wenn das Leben ein Beruf ist, wollte ich kündigen." oder "Wenn die Leute fertig gelacht haben, müssen sie sterben".

Und wenn Arnon Grünbergs Bücher Zähne hätten, würden sie einen ordentlich beißen, und ganz masochistisch würde man rufen "Bitte mehr, mehr davon!".