Arnon Grunberg
Thüringische Landeszeitung,
2013-05-11
2013-05-11, Thüringische Landeszeitung

Grünbergs jüdischer Messias: Politisch unkorrekt, aber grandios


Ulrich Steinmetzger

Keine Seite in diesem Roman ist langweilig. Sogar die klein gedruckte Anmerkung nach seinem Ende ist bemerkenswert: "Der Verlag dankt den Erben A. Hitler für die freundliche Genehmigung zum Zitieren von Fragmenten aus Mein Kampf, München 1939. Übersetzung ins Jiddische: Willy Brill."

Arnon Grünberg, der fintenreiche, in New York lebende holländische Romancier, dessen Eltern vor den Nazis fliehen mussten, um zu überleben, ist politisch unkorrekt, dass die Fetzen fliegen. Wieder treibt er seine gebeutelten Protagonisten in absurde Situationen, die sie lädiert verlassen. Sie sind die Nachgeburt des 20. Jahrhunderts, die Lethargie und Ironie ihrer Zeit hinter sich lassen wollen. Zu solchem Ende pflegen sie seltsame Passionen, was ihnen das Leben ganz allgemein und den Umgang mit dem anderen Geschlecht im Besonderen nicht leichter macht.

Xavier Radek zum Beispiel verliert seine Unschuld an Bettina aus Graubünden. Die lässt sich ihren karitativen Einsatz vergelten, indem sie ihre Gespielen zu Investitionen in Entwicklungshilfeprojekten animiert. Xavier hat zwei am Hals, da ist er noch nicht volljährig. Dann trifft er Awrommele, eines der vielen Kinder des Rabbiners von Basel, und weiß fortan, dass seine sexuellen Neigungen dem eigenen Geschlecht gelten. Und Awrommeles Volk.

Vom Rabbiner indes lernt er darüber nicht viel, denn der ist ein getürkter Hedonist. Nachdem die Heiratsvermittlung gescheitert ist, hat er sich für diesen Job entschieden. Der ist lukrativ, weil sich hier mehr als die eigene Ehe veruntreuen lässt. Derweil wird für seine Frau die Küchenwand zur Klagemauer. Xavier wiederum hat von seinem Großvater gelernt, dass man einer Sache auf Ehre und Treue dienen muss. Er war ein Kämpfer in den Reihen der SS, nun will es der Enkel ihm nachtun und findet in Awrommele zum Zionismus. Die kultiviert schweigenden Eltern schieben es auf die Pubertät, doch im Sohn wächst der Ehrgeiz, ein verlorenes Volk zu trösten.

In slapstickhafter Parallelsetzung zu einem anderen Größenwahnsinnigen durchläuft Xavier nun ein Stationenpanorama auf der Suche nach ein bisschen Heldentum am Ende des 20. Jahrhunderts. Bis er im gelobten Land ankommen wird, säumen Figuren seinen Weg, denen ihr Autor Unglaubliches in den Mund legt. Das wächst sich aus zum Zerrspiegel unserer Verirrungen. Xavier wird Gegenstand der Boulevardpresse, sein Vater stirbt unterm Punchingball, Mutters Neuer ist ein netter Pädophiler, das Komitee Wachsamer Eltern verliert sein Ziel aus den Augen, vorm Kaufhaus schüttet einer vom Wachschutz sein Herz aus, der Ägypter vom Grillrestaurant wird zwischen den Fronten von Hamas und israelischem Geheimdienst frittiert, eine Bande im Park zitiert Kierkegaard, ein Transvestit massiert den Rabbiner, Mutter wird zur Ritzerin und entdeckt im italienischen Küchenmesser ihren späten Geliebten, und wenn Xavier und Awrommele neben dem allen noch Zeit haben, übersetzen sie "Mein Kampf" ins Jiddische, weil das eine Goldgrube sein könnte.

Die Juden sind nicht der Staat Israel. Zwischen Gutmenschen und Politikern sind sie eine Manövriermasse. Ihr Staat dürfte erst gegründet werden, wenn der Messias erscheint. Als solcher kommt schließlich mit seiner Reliquie Xavier, der vorher auch als Maler dilettiert hat. Nun denunziert er als Landespolitiker seine Gegner, senkt die Arbeitslosenquote, baut Autobahnen und bietet aus seinem Bunker heraus Atombomben an.

Das alles ist urkomisch, aber nicht lustig. Es ist die ins Absurde weitergedrehte Spirale unserer Zeit. Dies mit so viel Verve und Respektlosigkeit zu tun, macht Arnon Grünberg keiner nach. Auch nicht, wie er erreicht, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt.