Arnon Grunberg
HR-online,
2013-05-06
2013-05-06, HR-online

Der jüdische Messias


Roman Halfmann

Als der junge Xavier zufällig erfährt, dass sein Großvater Aufseher eines Konzentrationslagers war, beschließt er, das jüdische Volk zu trösten – mit allen Mitteln. Diese Mission wird nicht nur für die Welt zum Desaster.

Xavier Radek und Awrommele, sexsüchtiger Sohn eines Rabbiners, betreten die dunkle Wohnung des Herrn Schwartz, irgendwann in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in Basel. Schwartz, Käsehändler und ehemaliger Beschneider, hat den Auftrag, Xavier endlich zu beschneiden, hätten dessen Eltern, als assimilierte Juden, dies doch vergessen. Das ist eine Lüge, denn Xavier ist gar kein Jude, sondern entstammt einer Familie mit höchst dunkler Vergangenheit: Sein Großvater folterte und tötete während des Zweiten Weltkrieges mit Begeisterung KZ-Gefangene.

Leid und Trost

Der Enkel wiederum kann beim Blick in den Spiegel die Ähnlichkeit mit seinem Großvater nicht verleugnen und beginnt schon in jungen Jahren, diesen für seine Begeisterungsfähigkeit zu bewundern; Xavier beschließt, es dem Ahnen gleichzutun, aber eben entgegengesetzt: Nicht mehr leiden sollen die Juden, sondern von ihm getröstet werden.

Zum Entsetzen seiner stillen, den Schein wahrenden Eltern wird er Mitglied in einer zionistischen Jugendgruppe, denn wenn er die Juden wirklich trösten will, muss er sie ja erst einmal verstehen lernen. Und so steht er also bald schon mit dem neuen Freund Awrommele bei Herrn Schwartz, der zittrig die Beschneidungsutensilien aus dem Schrank klaubt.

Sarkastischer Humanist

Die Beschneidung gelingt, doch verliert Xavier aufgrund einiger lesenwerter Komplikationen einen Hoden, den er von nun in einem Einmachglas mit sich von Basel nach Amsterdam bis nach Israel schleppt und "König David" getauft hat. In Israel wird er unvermutet eine Führungspersönlichkeit und setzt die Mission einer Tröstung des jüdischen Volkes mit allen Mitteln durch, auch und insbesondere atomaren. Besondere Sprengkraft wohnt auch der immer wieder diskutierten Idee inne, Hitlers "Mein Kampf" ins Jiddische zu übersetzen.

In privater Hölle gefangen

Dieser bereits 2004 in Holland erschienene und aus naheliegenden, aber nicht nachvollziehbaren Gründen erst jetzt ins Deutsche übersetzte Roman ist zwar ein typischer Grünberg, freilich aber der bisher beste: Typisch ist die auf jeder Seite überbordende Ironie, die aber niemals langweilt, da der in New York lebende Niederländer ein ungemein talentierter Autor ist, der die vom Elend des menschlichen Daseins herrührende Bitterkeit hinter dem Sarkasmus erstrahlen lassen kann: Das ist keine um sich kreisende Ironie, sondern Mittel zur Aufklärung. Tatsächlich sind alle Protagonisten wieder in ihrer privaten Hölle gefangen und das anfängliche Lachen kippt einem bei der Lektüre schnell in einsichtsvolle Wehmut um.

Überzeugende Parabel

Der beste Grünberg ist es aber, weil hier der treibende, zynische Ton endlich ein vollkommen überzeugendes Sujet gefunden hat: Waren früher einige Romane, die sich mit dem Mannsein oder dem modernen Beziehungsleben auseinandersetzten, doch arg überladen und der gnadenlose Ton kaum angemessen. In Xavier Radek, der immer mehr Ähnlichkeit mit Hitler annimmt, und seinem Begleiter Awrommele, die gemeinsam ausziehen, um die Juden zu trösten, ist jedoch das ideale Gespann einer sozialen, politischen und künstlerischen Parabel gefunden, die manchen Lesern sicherlich zu weit gehen wird, aber eben doch ausgehalten werden sollte.