Arnon Grunberg
Gelnhäuser Tageblatt,
2013-07-09
2013-07-09, Gelnhäuser Tageblatt

"Mein Kampf" ins Jiddische übersetzt


Wer es gern politisch korrekt hat, für den ist dieses Buch stärkster Tobak. Politisch unkorrekter als hier geht es kaum noch. Wer dagegen bizarren Humor und literarischen Slapstick mag, der wird am "Jüdischen Messias" von Arnon Grünberg (Jahrgang 1971) Gefallen finden. Der bereits 2004 in Holland und nun auch bei uns erschienenen Roman steckt voller Tabubrüche. Für manche Leser war damit die Schmerzgrenze überschritten. Sie warfen dem jüdischen Schriftsteller aus Amsterdam vor, ein Antisemit zu sein. Andere nahmen das Buch begeistert auf.
Ironie und Sarkasmus springen den Leser auf jeder der über 600 Seiten an. Grünberg erzählt von einem höchst sonderbaren jungen Mann: Xavier Radek, im schweizerischen Bern der 70er Jahre zu Hause, entdeckt eines Tages, dass sein Großvater bei der SS war und als Aufseher eines Konzentrationslagers Juden ermordet hat. Da beschließt er, dass das jüdische Volk nicht mehr leiden soll. Er will alle Juden trösten. "Keine halbe Sachen, nicht ein Pflästerchen hier, ein bisschen Jod dort. Richtig trösten wollte er sie." Und die Juden, die sich selbst hassten, "die mussten, was Trost anging, zuallererst an die Reihe kommen."
Awrommele, der homosexuelle Sohn eines Rabbiners, wird bei dieser Mission sein Helfer und engster Vertrauter. Xavier hat ihn nämlich angelogen, hat ihm gesagt, seine Eltern seien assimilierte Juden und hätten ihn nicht jüdisch erzogen und folglich auch nicht beschneiden lassen. Also muss die Beschneidung nachgeholt werden. Selbst hartgesottenen Lesern stellen sich die Nackenhaare auf, wenn ein alter, halbblinder jüdischer Quacksalber in seiner verschmutzen Wohnung, in der eigentlich mit Käse gehandelt wird, den 17-jährigen Xavier von seiner Vorhaut befreit. Es bleiben einem keine blutigen Details der Beschneidung und der folgenden Komplikationen erspart, bei denen der Junge einen Hoden verliert. Der schwimmt fortan in einem Einmachglas, heißt "König David" und wird von seinem Besitzer überall hin mitgeschleppt.
Adolf Hitler, der durchgängig nur "du-weißt-schon-wer" genannt, scheint allgegenwärtig zu sein. Und Xavier wird ihm immer ähnlicher. Es fängt damit an, dass er mit Awrommele beginnt, dessen "Mein Kampf" ins Jiddische zu übersetzen. Nach einer kurzen Episode als untalentierter Maler in Amsterdam geht er nach Israel, wird Politiker, schließlich Ministerpräsident und bringt die ganze Welt gegen sich auf. Beim ruhmlosen Ende im Bunker ist nur noch der Schäferhund an seiner Seite.
In der langweiligen, grauen Welt der Politisch-Korrekten und Reglementierer wird für den "Jüdischen Messias" kein Platz sein. Doch außerhalb davon wird man seinen unschlagbaren Witz zu schätzen wissen.