Arnon Grunberg
Financial Times Deutschland,
2002-07-12
2002-07-12, Financial Times Deutschland

Amour fou


Nein, nicht jede Liebe ist gestört oder maßlos. Nicht jede Liebe übersteigt das tägliche Einerlei. Eine Liebe, die darüber hinausgeht, ist selten und fast immer destruktiv, doch darum nicht weniger begehrenswert."

Wer da so weise spricht, nennt sich Marek van der Jagt. "Amour fou", so der viel versprechende Name seines Erstlingswerks, sorgte im niederländischen Literaturbetrieb im vergangenen Jahr für Aufruhr. Während die Verkaufszahlen stiegen, wurde die Öffentlichkeit schließlich neugierig, wer da zum Shootingstar avancierte. Die Kritiker lobten van der Jagts Stil. Alles gipfelte schließlich in der Verleihung des Anton-Wachter-Preises 2000. "Ein mit Subtilität und Grazie geschriebenes Meisterwerk", urteilte die Jury. Bei der Preisverleihung war der Autor allerdings nicht anwesend und ließ verkünden: "Sie wollten mein Buch auszeichnen, nicht meine Existenz."

Ein Forschungsinstitut in Italien legte nun nahe, dass es sich bei Marek van der Jagt um den Autor Arnon Grünberg handelt, der die Enttarnung bestätigte.

Grünberg lässt in seinem Roman einen gewissen Marek van der Jagt seine Lebensbeichte ablegen. Er erzählt von dessen männerbetörender Mutter, dem leidenden Vater und von der Amour fou, die der Erzähler für die Bestimmung seines Lebens hält. Mareks erster Versuch, das Dienstmädchen zu verführen, scheitert jedoch. Als zwei Luxemburgerinnen die Szenerie betreten, scheint das Ziel nahe. Unterstützt von seinem Bruder Pavel gelingt es Marek schließlich, die beiden nach Hause einzuladen. Doch dort beginnt die Tragik: Während Pavel bereits die luxemburgische Liebe unter der Bettdecke erfährt, macht Marek eine folgenschwere Entdeckung: ",Du hast den Penis eines Zwerges', sagte Andrea. Sie sprach ihr Urteil, während sie auf dem Boden kniete. Aufstehen war für dieses Urteil nicht mal nötig."

So beginnt Mareks Obsession. Eine Obsession, die ihn zum Psychiater, später gar zum Schönheitschirurgen treibt. Eine Obsession, die alle Gedanken in seinem Leben fortan um ein zu klein geratenes Organ kreisen lässt.

Die Geschichte dieser Besessenheit wird in einem nüchternen, unsentimentalen Ton erzählt und macht den Leser zum Komplizen. Van der Jagt alias Grünberg ist jemand, der sein Herz in die Hand genommen hat und es nun zur Entlastung aller vor der Welt auskippt. Das muss reichen: "Ich habe nicht vor, nach diesem Buch auch nur ein einziges weiteres Wort zu Papier zu bringen. Es gibt Schriftsteller, die nur eine einzige Geschichte in sich tragen", sagt er und lässt offen, ob er von seinem Alter Ego van der Jagt spricht oder von sich selbst.

In jedem Fall hat er mit seinem Coup die Inszenierung des Autors als Popstar karikiert. "Wir möchten nicht, dass der Autor selbst wichtiger wird als der Text. Diesmal wollten wir den Roman verkaufen, nicht das Gesicht des Autors", sagt der holländische Verleger Mulder. Da kann Grünberg nur nicken. Immerhin ist es ihm gelungen, in den Zeiten der Popliteraten ein Buch nur auf Grund seiner Textqualität zu einem Bestseller zu machen. Das gefällt ihm: "Natürlich tut das gut. Und so weit Hoffnung mir nicht fremd ist, schöpfe ich hieraus auch Hoffnung", sagt Grünberg. Und wenn er das Hoffen einmal leid ist und zwischendurch eine Pause vom Schreiben braucht, dann widmet er sich dem "Essen, Flirten und Lesen. Wenn keines dieser drei in Reichweite liegt, trinke ich." Einen Grund zum Anstoßen wird er schnell finden.