Arnon Grunberg
Die Welt,
2012-03-24
2012-03-24, Die Welt

Ein Dichter muss embedded sein


Ulricht Wickert

Die Literarische Welt: Ihr neuer Roman "Mit Haut und Haaren" nimmt die ewige Kontaktsuche von Beziehungsflüchtlingen aufs Korn. Um Liebe geht es Ihnen nicht?

Arnon Grünberg: Doch, es gibt auch Liebe in diesem Roman, aber es geht eher um Beziehungen ohne Liebe.

Die Literarische Welt: Die aber natürlich mit Sex zu tun haben.

Arnon Grünberg: Es geht um sexuelle Beziehungen, aber auch um Mutter-Vater-, Vater-Sohn-Beziehungen. Nicht alle diese Beziehungen sind lieblos.

Die Literarische Welt: Ihrer Hauptfigur Roland Oberstein ist seine wissenschaftliche Arbeit wichtiger als alles andere. Aber trotzdem reagiert er, als Lea ihn haben will - aus Höflichkeit.

Arnon Grünberg: Ich fand das spannend, dass einer, der Professor werden möchte und für seinen Beruf lebt, sich trotzdem erotisch verpflichtet fühlt, wenn man ihm Avancen macht. Er will einfach von möglichst vielen Menschen gemocht werden. Einerseits hat er immer das Gefühl, dass er nicht genug Zeit für sein Buch hat. Andererseits fühlt er sich von seiner Ex-Frau, von seinem Sohn, von seiner Freundin, von dieser Lea gedrängt, das zu tun, von dem er denkt, dass man es von ihm erwartet.

Die Literarische Welt: Es geht immer wieder um Sex, aber eher um das Drumherum, während der Akt selbst in Ihrem Roman meist Nebensache ist.

Arnon Grünberg: Das Drumherum ist ja oft genauso wichtig, vielleicht sogar wichtiger als der Akt selbst.

Die Literarische Welt: Sie haben eine Website Arnon-Gruenberg.com. Da gibt es ein Fach "University of Love". Was hat es damit auf sich?

Arnon Grünberg: Es gibt viele Leute, die möchten Liebesbriefe schreiben, können es aber nicht. Ich will ihnen über diese University of Love die Möglichkeit dazu geben. Die Website wurde 1998 gestartet. Damals gab es viele Anfragen, aber irgendwann war mir meine Schriftstellerei wichtiger, und so ist das Projekt leider nahezu eingeschlafen.

Die Literarische Welt: Aus Ihrem ersten Roman "Blauer Montag" wissen wir, dass Sie als Kind und junger Mann in die Synagoge gegangen sind. Spielt Religion für Sie heute noch eine Rolle?

Arnon Grünberg: Ich bin kein gläubiger Mensch in traditioneller Hinsicht. Aber ich bin auch kein militanter Atheist, der meint, Gläubige seien dumm. Das finde ich unhöflich und sehr beschränkt.

Die Literarische Welt: Kommen wir zu Ihrer Biografie: Im Deutschen sind Sie der Autor Grünberg mit Umlaut. Im Rest der Welt sind Sie Grunberg. Wie kam es dazu?

Arnon Grünberg: In meinem Reisepass steht Grünberg mit Umlaut. Meine Eltern sind beide in Berlin geboren, also eigentlich Deutsche. Sie sind geflohen. Ich hatte ziemlich alte Eltern, meine Mutter wurde 1927 geboren, mein Vater 1912. Er lebt nicht mehr. In der holländischen Sprache macht der Umlaut keinen Sinn. Daher nahm ich irgendwann den Umlaut weg. Aber dann kam mein erstes Buch auf Deutsch heraus. Ich wurde gefragt: Wie spricht man Ihren Namen aus? Grunberg ist auf Deutsch komisch. Und da habe ich gedacht, mein Name ist ja Grünberg. So steht es im Reisepass. Nehmen wir also ruhig den Umlaut wieder rein. Das hat für viel Verwirrung gesorgt, aber ich kann es nicht mehr zurücknehmen, finde es auch irgendwie gut. Es passt zu meinem Leben.

Die Literarische Welt: Ihre Eltern waren Deutsche und sind geflohen. Zusammen oder haben die sich erst nach der Flucht kennen gelernt?

Arnon Grünberg: Erst nach dem Krieg in Holland.

Die Literarische Welt: Erzählen Sie von Ihrem Vater.

Arnon Grünberg: Seine Eltern kamen aus Lemberg. Er selbst wurde in Berlin geboren. Dann ist er 1933 ausgewandert, mit seiner Mutter und seiner Schwester. Die Mutter hat den Krieg nicht überlebt, starb im KZ. Die Familie meiner Mutter war seit Generationen in Deutschland ansässig. Sie ging auf dem letzten Schiff mit jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland nach Kuba. Aber Kuba machte die Grenze dicht. Ebenso die USA. Das Schiff fuhr mit allen Flüchtlingen wieder zurück. Und dann sind die Leute verteilt worden auf Frankreich, Belgien, Holland und England. So ist meine Mutter in Holland gelandet. Sie hat das KZ überlebt, ihre Eltern nicht. Nach dem Krieg hat sie dann meinen Vater getroffen und hat sich verliebt. Und sie hat immer gesagt, mein Vater habe sich erst geweigert. Er wollte nicht heiraten. Aber sie hat ihn dann so lange gedrängt, bis er nachgegeben hat.

Die Literarische Welt: Welche Rolle spielt der Holocaust für Sie?

Arnon Grünberg: Jeder muss sich auseinandersetzen mit der eigenen Geschichte. Aber ich hab mich immer geweigert, mich in diese Rolle der zweiten Generation drängen zu lassen. Der Holocaust ist wichtig für mich, aber es ist nur ein Teil meiner Identität. Ich habe die Shoah nicht erlebt. Ich würde mich nie als Opfer bezeichnen. Die Geschichte meiner Eltern ist wichtig dafür, wie ich die Welt sehe, aber nur als Teil, nicht als einziges Element für meine Weltsicht.

Die Literarische Welt: Sie sind nicht nur Romancier, sie arbeiten auch als Journalist.

Arnon Grünberg: Ja. Seit meinem ersten Roman schreibe ich für Zeitungen. Das ist auch wichtig für meine Romane, denn es besteht ja die Gefahr, dass die Welt des Schriftstellers immer kleiner und enger wird, dass er nur noch anderen Schriftstellern begegnet oder Journalisten, die über Literatur schreiben. Ich wollte da raus. Das lässt sich gut kombinieren mit größeren Stücken über Kriegsgebiete.

Die Literarische Welt: Sie waren embedded, wie man das heute nennt.

Arnon Grünberg: Ich war embedded mit den Amis, mit den Holländern und auf diese Weise zweimal im Irak. Dieses Jahr war ich embedded bei der Bundeswehr. Aber ich war auch in Guantánamo. Ich habe auch eine Reise von Istanbul nach Bagdad gemacht. Aber ich bin nicht nur beim Militär embedded. Ich habe zum Beispiel in Bayern als "Zimmerjunge" gearbeitet und darüber geschrieben.

Die Literarische Welt: Sie haben sich im letzten Sommer sogar in eine holländische Familie im Urlaub embedded.

Arnon Grünberg: Ja, das war spannend. Man muss ja nicht immer nur mit Soldaten embedded sein.

Die Literarische Welt: Was für eine Familie wählten Sie aus?

Arnon Grünberg: Eine völlig normale mit zwei kleinen Kindern. Wir sind nach Griechenland gegangen. Aber was heißt normal? Jede Familie hat so ihre Geheimnisse. Die kann man einen Abend oder zwei geheim halten, aber nicht über die ganzen Ferien.

Die Literarische Welt: Noch mal zu Ihren militärischen Erfahrungen. Haben Sie sich die Kriegsziele bewusst ausgesucht?

Arnon Grünberg: Ja. Ich war nie in der Armee. Ich wusste also wirklich nichts vom Kriegshandwerk. Die holländische Armee ist in Afghanistan, und ich dachte, wir leben in einer Demokratie, und die sind auch meinetwegen da. Da muss ich mal sehen, was die machen. Ich wollte auch den Alltag beschreiben und die Soldaten über ihr Leben reden lassen.

Die Literarische Welt: Sie haben auch über Kurdistan geschrieben. Wie sind Sie dahin gekommen?

Arnon Grünberg: Ich habe diese Reise von Istanbul nach Bagdad gemacht. Man spricht immer über den Irak, als ob er ein einheitliches Land sei. Kurdistan ist wirklich ein ganz anderes Gebiet und erlebt jetzt, nicht zuletzt dank der Amerikaner, einen enormen ökonomischen Aufschwung. Und ich wollte mir das mal näher ansehen.

Die Literarische Welt: Dann waren Sie in Bagdad.

Arnon Grünberg: Das letzte Mal 2010.

Die Literarische Welt: Damals konnte man wahrscheinlich noch nichts von dem bemerken, was jetzt passiert.

Arnon Grünberg: Die schlimmste Zeit für Bagdad war 2005/06. Ich war 2007 da. Da wurde es etwas besser. Aber jetzt, nachdem die Amis abgezogen sind, ist die Situation wieder schlimmer geworden.

Die Literarische Welt: Der Roman "Mit Haut und Haaren" spielt zum Teil in New York. Dort sind Sie im Alter von Mitte 20 hingezogen. Der Liebe wegen?

Arnon Grünberg: Ja. Meine damalige Freundin ist in Holland aufgewachsen, aber in New York geboren. Sie wollte da arbeiten, und ich bin einfach mitgegangen.

Die Literarische Welt: Was Amerika von Europa unterscheidet, so haben Sie geschrieben, ist etwa das Dating.

Arnon Grünberg: Ja, die haben Bücher, da stehen Sachen wie "Never kiss on the first date." Alles ist viel stärker reglementiert als in Holland. Da küsst man sich, wenn man Lust hat, auch beim ersten Treffen. Also, auf diesem Gebiet sind die Amerikaner einfach Puritaner.