Arnon Grunberg
WDR,
2012-03-21
2012-03-21, WDR

"Nicht schlimm, wenn Beziehungen schief gehen"


Insa Moog

In seinem neuen Buch "Mit Haut und Haaren" widmet sich der niederländische Bestseller-Autor Arnon Grünberg intensiv den Beziehungsformen, die das Kommunikationszeitalter hervorbringt. Den Ratgeber mag er trotzdem nicht geben. Am Mittwoch (21.03.2012) liest er auf der Litcologne.

inigen gilt er längst als der niederländische Woody Allen. Arnon Grünberg, Jahrgang 1971, schreibt mit Unterbrechungen, seitdem er 23 Jahre alt ist, seit 2000 hat er gleich mehrere Bestseller vorgelegt und ist mehrfach ausgezeichnet worden. Seit 1995 lebt der gebürtige Amsterdamer in New York und seit 2010 schreibt er unter anderem die tägliche Fußnote in der niederländischen Zeitung "Volkskrant". 2012 erschien sein neues Buch "Mit Haut und Haaren" in Deutschland. Nach der Leipziger Buchmesse stellt Grünberg es am Dienstag (21.03.2012) auch dem Litcologne-Publikum vor.

WDR.de: In ihrem Buch "Mit Haut und Haaren" gibt es dafür einige Beispiele: Warum fliehen Menschen vor Beziehungen?

Arnon Grünberg: Ich glaube, dass Angst im Leben der Menschen eine große Rolle spielt. Es gibt vieles an Beziehungen, wovor man mit gutem Grund Angst haben kann. Man sehnt sich nach Intimität, dennoch fürchten viele sie auch, weil sie Erwartungen, Verantwortung und Forderungen anderer mit sich bringt.

WDR.de: Haben Sie den Eindruck, dass heute mehr Menschen diese Ängste haben noch als vor einigen Jahren?

Grünberg: Das weiß ich nicht genau. Vieles hat sich an Beziehungen geändert, seit sie nicht mehr auf ökonomischer Abhängigkeit aufgebaut sind. Seitdem man sich scheiden lassen kann und nicht für immer zusammenbleiben muss, ist es aber generell einfacher geworden, nach einer Alternative zu suchen.

WDR.de: Ihre Romanfigur Roland Oberstein verlässt seine Familie für die Karriere, verstrickt sich aber in unverbindliche Beziehungen zu mehreren Frauen. Ist das eine Typfrage: familienbezogen und sesshaft und auf der anderen Seite ungebunden und immerzu suchend?

Grünberg: Ja, sicher. Religion wird auch immer eine Rolle spielen und die Erwartungen, die man an Beziehungen stellt. Wir sind immer noch umgeben von großen romantischen Erwartungen an die Liebe, deshalb wird man in der Realität so schnell enttäuscht. Bei Roland Oberstein ist es ironisch. Einerseits behauptet er, sich nicht binden und nur der Arbeit widmen zu wollen, andererseits sucht er immer wieder nach Frauentypen, die ihn brauchen. Wie viele ist er sich dessen nicht bewusst, was er wirklich braucht. Er hält sich für einen sehr rationalen Menschen, erkennt aber nicht, dass in ihm etwas ganz Irrationales steckt.

WDR.de: Ist Roland Oberstein also ein Stereotyp?

Grünberg: Das würde ich nicht sagen. Aber es gibt sicher viele Männer, die ihre Ambitionen bei der Karriere höher einstufen als Familie, Liebe oder Freundschaft. Früher oder später bricht das auf. Unter Wissenschaftlern oder an der Uni trifft man diesen Typ Mann aber sicher häufiger.

WDR.de: Kommunikation über Handy spielt in Ihrem Buch eine große Rolle - machen es neue und soziale Medien einfacher, Distanz aufrechtzuerhalten?

Grünberg: Ja und nein. Die Entwicklung ist an sich positiv. Es ist aber auch einfacher, die Illusion von Intimität aufrechtzuerhalten. Kurz da zu sein, ohne wirklich da zu sein.

WDR.de: Sie haben mal gesagt, dass Sie auch schreiben, um Rache zu nehmen: Rechnen Sie also diesmal mit Beziehungsflüchtigen ab? Was war für Sie der Antrieb, dieses Buch zu schreiben?

Grünberg: So gilt das nicht immer. Mein letztes Buch, "Mitgenommen", spielt in einem Kriegsgebiet. Diesmal wollte ich eine Komödie schreiben. Außerdem fand ich es schade, dass ich in meinen Romanen bisher noch nie die Universität als Schauplatz gewählt hatte. Einige Zeit bin ich als Gastschriftsteller in Unis herumgelaufen, ich kenne diese interessante Welt gut. Ich wollte über einen Ökonomen schreiben, weil sie selten als Romanfiguren auftauchen und weil in den letzten Jahren viel über sie gesprochen wurde. Dabei sind Vorurteile sehr verbreitet, damit wollte ich spielen. Rache zu nehmen ist aber eher ein allgemeines Bedürfnis. Es ist nicht so, dass ich einen ganzen Roman schreibe, um mich an einem Menschentyp zu rächen. Eher kann man sagen, dass sich der Schriftsteller immer wieder an sich selber rächt.

WDR.de: Sie haben sich in Ihrem Buch intensiv mit Beziehungen auseinandergesetzt, was ist Ihre Empfehlung für ein gutes Gelingen?

Grünberg: (lacht) Gottseidank bin ich kein Ratgeber. Trotzdem klingt hoffentlich aus meinem Buch heraus, dass es nicht schlimm ist, wenn Beziehungen schief gehen. Nach dem Beziehungsende nicht mehr miteinander sprechen zu können, ist ein verbreitetes Klischee. Dass Freundschaft nach einer Beziehung nicht möglich sein soll, nicht zwischen Männern und Frauen. Dabei ist Freundschaft immer kompliziert. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Freundschaft zwischen Männern sogar komplizierter sein kann als zwischen Männern und Frauen. Dabei geht es manchmal darum, ob es eine sexuelle Anziehungskraft gibt. Bei Männerfreundschaften entsteht dagegen Konkurrenz und Wettbewerb untereinander.

WDR.de: Wenn doch alles so kompliziert ist, lohnt es mehr, in Beziehungen zu investieren oder in Freundschaft?

Grünberg: Eine schwierige Frage. Eine Beziehung ist intimer und das Bedürfnis nach Intimität ist und bleibt groß. Deshalb ist eine Beziehung wohl am Ende wichtiger.