Arnon Grunberg
Eselsohren.at,
2012-07-25
2012-07-25, Eselsohren.at


Europäisch-amerikanischer „Swinger-Club“


Werner Schuster

Ich kann nicht behaupten, dass ich dieses Buch nur aus Pflichtgefühl ganz gelesen habe. Denn obwohl mich die Charaktere nicht für sich eingenommen haben und obwohl mich immer weniger interessiert hat, wer wann wie und warum mit wem Sex hat, so habe ich selbst auf Seite 460 (von 680) immer noch gehofft, dass endlich etwas Besonderes geschehen würde.

Dies geschah dann tatsächlich, hat mich aber nicht wirklich beeindruckt.

Gefühlskalter Frauenschwarm

Roland Oberstein, der Protagonist von Grünbergs Roman ist ein Wirtschaftswissenschaftler, der nichts lieber macht als zu forschen. Sein Gebiet sind Finanzspekulationen (von denen Grünberg nicht viel Ahnung zu haben scheint) und ein wenig interessiert er sich auch noch für den Holocaust, jedoch nur für dessen wirtschaftliche Aspekte.

Ansonsten ist er nicht umgänglich, ja sogar eher verschlossen bis gefühlskalt, dennoch finden ihn Frauen faszinierend und gehen gerne mit ihm ins Bett. Lea, Spezialgebiet Ausschwitz-Lagerkommandant Rudolf Höß, die er zu Beginn bei einer Konferenz in Europa kennenlernt, nicht gleich. Erst nachdem sie beide in die USA zurückgekehrt sind, sie zu ihrem Mann, Bezirksbürgermeister von Brooklyn, er an seine Uni und zu seiner Freundin Violet.

Mag er seine Freundin? Mag er seinen Sohn?

Ich habe vergessen, was diese beruflich macht; jedenfalls betrügt sie Roland mit einem Satellitentelefon-Verkäufer, was Roland nichts ausmacht, auch wenn er sie später mit einer Peitsche „bestraft“.

In Europa wohnt seine Ex-Frau Sylvie, eine Zahnärztin (mit einem an Depressionen leidenden Freund), mit der Roland einen Sohn hat. Mag er Jonathan? Schwer zu sagen. Dennoch lässt er sich von Sylvie überreden, ein Semester in den Niederlanden zu unterrichten, um mehr Kontakt zu Jonathan zu haben.

Viel Sex, keine Erotik

An der europäischen Uni lässt er sich auf ein – wie sollte es auch anders sein? – sexuelles Abenteuer mit einer Studentin ein, während Lea eine Affäre mit einem Taxifahrer hat und ihr Mann seine Macht missbraucht, um sich einen Botenfahrer gefügig zu machen.

All dieser Sex wird zwar anschaulich beschrieben, erotisch fand ich dies jedoch nicht. Auch die Figuren konnte ich mir gut vorstellen, allerdings ohne zu verstehen, warum sie tun, was sie tun. Sie sind halt so, wie sie sind.

Tranig-tragisch

Grünbergs Romane gelten als verzweifelt-komisch. Ich konnte mich mit diesem nicht amüsieren und fand ihn eher tranig-tragisch. Und auch nach dem dramatischen Finale weiß ich immer noch nicht, was die Frauen an Roland finden, ich habe auch nicht herausgefunden, was dieser europäisch-amerikanische „Swinger-Club“ mit den Wirtschaftswissenschaften oder mit dem Holocaust zu tun haben, und ich habe nicht begriffen, warum mir der Autor all das erzählt hat.