Arnon Grunberg
WAZ,
2014-08-12
2014-08-12, WAZ

Arnon Grünbergs kurzer Prozess am falschen Ort


Ulrich Steinmetzger

Der neue Roman des vielseitigen Kreativitäts-Irrwischs begibt sich auf die Spuren des übersteigerten Ehrgeizes, des kulturellen Zusammenpralls und eines Helden, der manches auszuhalten hat: Sam Ambani will eine Oper in Bagdad bauen und einen Bücherbunker in Dubai - und gräbt dabei an seinem Grab.

Ach, wenn nur der Ehrgeiz nicht wäre. Auch Samarendra Ambanis Leben wäre dann ruhiger verlaufen. Sein indischstämmiger Vater hätte ihm gut als Warnung dienen können: Im Bestreben, ein allzu guter Schweizer zu werden, hat er bei einer Kletteraktion in den Bergen einen Wettersturz nicht überlebt. Die Mutter mit den Locken und den langen Beinen glaubt seither an gar nichts mehr, zumal ihre Tochter Aida an einer schlimmer werdenden Muskelkrankheit leidet. Höchstens noch an die Kultur glaubt sie, doch die kann die Probleme auch nicht lösen.

Immerhin ist Sam ohne Gebrechen und hat nach seinem Architekturstudium im berühmten Büro Fehmer & Geverelli ein Praktikum gemacht. Dessen Boss weiß ihn gut zu motivieren. Zu gut: „Die Avantgarde ist tot, nur in der Architektur lebt sie weiter.“ Sie beeinflusst das Lebensglück aller Menschen, denkt Sam und begnügt sich nicht mit Renommieraufträgen wie einem buddhistischen Zentrum in Winterthur oder Klosterbauten wie in seiner Diplomarbeit. So ruhig wollte er es nicht mehr länger.

Aberwitzig, aber nicht immer lustig

Weil aber immer noch nicht alle Menschen in der Schweiz leben, will er hinaus zum problematischen Rest. Dafür entfernt er sich sogar von seiner Freundin Nina, die makellos perfekt ist wie ein Architekturentwurf. Ausgerechnet im krisengeschüttelten Bagdad will er etwas tun, woran weiland in den Fünfzigern schon Frank Lloyd Wright gescheitert war. Er will dem im Netz und nach einem seltsamen Telefonat gefundenen Auftrag nachgehen, dem Ort eine Oper zu geben, denn: „Keine Demokratie ohne Oper“. Die Opfer aber kommen vor der Demokratie.

Weil wir im neuen Roman von Arnon Grünberg sind, ist im brutal rasanten Fortgang der Ereignisse mit Political Correctness nicht zu rechnen. Auch nicht damit, dass seinem Helden irgendetwas erspart bliebe. Der zwischen den Kontinenten – Kriegsgebiete inclusive – pendelnde fliegende Holländer ist von beängstigender Produktivität. So sehr, dass es interessant für ein neurowissenschaftliches Institut ist, in diesem Jahr in seiner New Yorker Wohnung die Kreativität des Autors experimentell zu vermessen. Immer wieder geht es in Grünbergs Romanen neben Tabuverletzungen und lauter lauten Konflikten im Zwischenmenschlichen auch um den Clash der Religionen und Kulturen. Aberwitzige Konstellationen und Handlungsverläufe findet er, bei denen auf den zweiten Blick die Betonung auf aber, statt auf witzig liegt. All seine Texte haben dann mindestens einen doppelten Boden unter der nur scheinbar einsehbaren Oberfläche.

Brief zur Hinrichtung

Sam weiß, was er will in Bagdad. Nur sind die Bedingungen nicht so, dass er das vor Ort auch wollen dürfte. „Alle Kultur beginnt mit der Kontrolle über den eigenen Körper“, sagt er sich, doch eben die wird er verlieren. Diebe, Verschwörungstheoretiker, Risk-Assessment-Manager und Geheimdienste deuten die Puccini-Oper um zum Decknamen einer Operation. Die Umstände verketten sich so, dass sich ein fataler Kreis zu seinem Diplomthema schließt: Sam landet in der Zelle. Nur wird die Meditation dort gestört durch brutale Eingriffe, deren Folgen er als gebrochene Nase, Konzentrationsschwäche und Verinnerlichung des Iraks mit nach Hause nimmt.

Dort ist er einerseits ein Party- und Pressethema, andererseits und vor allem jedoch sich selbst sowie den Seinen abhanden gekommen. Also fliegt er einem Auftrag hinterher nach Dubai. Das sieht sich als eine verbesserte Version des Westens, als „Westen 2.0“. Dubai hat kein Zentrum, es ist das Zentrum. Ein ambitionierter Emir will eine Bunkerbleibe für alle Bücher der Welt errichten. Doch auch hier ist Sam nicht der Mann, die Schlüsselrolle durchzustehen. Ein Blechschaden und Alkohol kommen ihm in die Quere, dann massive politische Unterstellungen, aus denen es keinen Ausweg gibt. Dann wird kurzer Schauprozess gemacht, die Leute von der Schweizer Botschaft demonstrieren ihre Neutralität auch gegenüber den eigenen Gefangenen und endlich artikuliert die Mutter ihre Zweifel am verlorenen Sohn: „Macht’s dir was aus, wenn wir nicht zu deiner Hinrichtung kommen?“

Fall Jörg Albrecht vorweggenommen

So ist das, wenn Arnon Grünberg unsere vermeintlichen Sicherheiten aushebelt und dabei en passant den Fall des im Mai in Abu Dhabi inhaftierten Schriftstellers Jörg Albrecht vorwegnimmt. Da war es gerade noch einmal gut gegangen. Grünberg aber kennt kein Erbarmen. Er lässt diesem Sam nur seinen Ehrgeiz, der am falschen Ort gnadenlos ins Leere laufen muss.