Arnon Grunberg
Kölner Rundschau,
2014-08-21
2014-08-21, Kölner Rundschau

Höllenfahrt eines arglosen Schöngeists


Hartmut Wilmes

So rasend schnell und lakonisch wie Arnon Grünberg zieht kaum ein Autor seinen Lesern den Boden unter den Füßen weg. In seinem neuen Roman "Der Mann, der nie krank war", versetzt er seinen Helden in einen Kafka-Albtraum.

"Was hatte er denn gedacht? Dass die Welt eine einzige Schweiz wäre?" Ja, das war so ungefähr die Idee von Samarendra Ambani, genannt Sam. Der junge Musterschweizer mit indischen Wurzeln denkt sich nichts dabei, dass sein kleines Architekturbüro im Auftrag eines ominösen World Wide Design Consortiums eine Oper in Bagdad bauen soll.

Puccini im Irak, das fasziniert ihn, der Baukunst ohnehin für eine sanfte Weltverbesserin hält. Doch schon nach der Ankunft umzingeln ihn Katastrophenvorboten: Im eigenen Koffer stinken fremde Kleider, seine Unterkunft gleicht einem Gefängnis, und vom Auftraggeber Hamid Shakir Mahmoud sind nur seltsame "Beschützer" zu sehen. Schlimm genug, doch dann zieht sich die Schlinge brutal zu: Sam findet sich in einer Folterzelle wieder.

So rasend schnell und lakonisch wie Arnon Grünberg zieht kaum ein Autor seinen Lesern den Boden unter den Füßen weg. In seinem neuen Roman "Der Mann, der nie krank war", versetzt der Niederländer seinen ach so sauberen Helden in einen schmutzigen Kafka-Albtraum, aus dem es nur scheinbar ein Erwachen gibt.

Und wie für Kafkas unseligen Gregor Samsa oder Josef K. stellt sich auch für Sam die Frage, ob er sein Verhängnis womöglich durch Unterlassungssünden begünstigt hat. Sams prägende Eigenschaft ist eine befremdliche Naivität, verbunden mit freundlichem Desinteresse für globale Konfliktherde und Furcht vor extremen Gefühlen. Er hat in Nina eine fast perfekte Geliebte, "doch wie ein verlorener Schal ist auch Sams Leidenschaft für seine Freundin manchmal unauffindbar".

Der 1971 in Amsterdam geborene und in New York lebende Autor ("Phantomschmerz", "Der jüdische Messias") lernte Krisengebiete im Irak und Afghanistan als eingebetteter Reporter gründlich kennen. Nun treibt er diese gefährlich-fremde Welt wie eine Axt in Sams Arglosigkeit. Doch selbst in dieser Schule der Demütigung lernt der eidgenössische Inder nichts. Kaum kehrt er mit gebrochener Nase schmachvoll in die aseptisch reinlich Schweiz zurück, greift er nach der zweiten Chance: eine Nationalbibliothek in Dubai. Wobei ihn keineswegs stutzig macht, dass das Gebäude wohl vor allem wegen seines Bunkers errichtet werden soll.

Die Geschichte wiederholt sich dort, härter als im Irak, und wir werden Zeugen eines widerstandslosen Untergangs. Ja, irgendwie gehen wir sogar mit Sam unter, denn Grünberg zieht den Zoom seiner Handlungsperspektive ganz eng auf diesen Mann ohne Liebe und Hass. Was geschieht, sehen wir durch seine Augen, mit einem verengten, verzerrten Blick also, der die surreale Atmosphäre noch Schwindel erregender wirken lässt.

Natürlich lässt sich dieses mit kalter Präzision ausgezirkelte Drama mit seinen klug gesetzten Leerstellen auf vielerlei Weise lesen: als Spottgesang auf westliche Sicherheitsillusionen, als existenzielles Gleichnis vom Ausgeliefertsein des Individuums. Oder als Chronik eines angekündigten Todes, dessen Ursache in unheilbarer Weltblindheit und Seelentaubheit liegt. So oder so: Diese Höllenfahrt eines Schöngeists vergisst man so schnell nicht.