Arnon Grunberg
Nürnberger Nachrichten,
2014-10-23
2014-10-23, Nürnberger Nachrichten

Blauäugig ins arabische Abenteuer


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Samarendra ist Schweizer, seine Eltern stammen aus Indien, aber er nennt sich kurz und hip Sam und fühlt sich offenbar als aufgeklärter Westeuropäer. Er ist als junger Architekt auf der Suche nach einem Auftrag, der ihm Ruhm und einen Namen verschaffen kann. Da kommt der Ruf nach Bagdad gerade recht, wo er eine neue Oper planen soll. Wiederaufbau mit westlicher Hilfe sozusagen.
Dass die Auftraggeber irgendwie zwielichtig sind, wird für den Leser des schmalen Romans sofort klar. Sam merkt dagegen nichts. Er ist überhaupt ein Mann ohne Eigenschaften. Grünberg beschreibt ihn gekonnt über die Abwesenheit von Charakteristika. Während seine Schwester mit einer Behinderung kämpft, ist er einer, der die krank wird. Er ist stolz darauf, neutral zu sein - im politischen Sinn, aber auch im Leben. Er ist immer guten Willens, aber nie kantig für oder gegen etwas. Er ist fürsorglich gegenüber der Familie und seiner Freundin, aber ohne Leidenschaft.
Im Irak interessieren solche Feinheiten keinen, Sam wird gekidnappt und gefoltert, schafft es mit träger schweizerischer Beamten-Hilfe wieder in die Freiheit, psychisch leicht beschädigt, aber noch immer naiv an das Gute glaubend. Als etwas später Dubai anfragt, ob er dort die größte Bibliothek der Welt bauen will, wittert Sam eine zweite Chance. Einen gigantischen Geheimbunker soll er ins Kellergeschoss integrieren, aber wen interessiert das? Sam ist so enervierend blass, politisch so einfältig und uninteressiert, dass man als Leser schon heimlich die Faust ballt. ,,Geschieht ihm recht", denkt man irgendwann mit schlechtem Gewissen, als der Architekt auf sein Todesurteil wartet. Doch natürlich karikiert Grünberg eben genau diese Haltung des naiven Gutmenschentums, das uns Europäern gerade in Bezug auf den Clash der Kulturen im mittleren Osten so leicht fällt. Die Welt ist komplizierter, als Sam sich es je erträumt hat. Als er klar sieht, ist es längst zu spät.