Arnon Grunberg
Tages-Anzeiger,
2014-10-08
2014-10-08, Tages-Anzeiger

Ein lächerlicher Schweizer in der Welt



Martin Halter

Arnon Grünbergs neuer, nahezu perfekter Roman ist eine böse Farce um einen Architekten, der zweimal einer Fata Morgana erliegt.
Schweizer sind für den holländischen Juden Arnon Grünberg bemitleidenswerte Glückskinder. Von Krieg und Elend verschont, weich gebettet in einem Kokon von Sicherheit, Ordnung, Wohl- und Anstand, geraten sie eben darum in Teufels Küche. In «Der jüdische Messias» machte Grünberg einen Teenager aus Basel zu einem Wiedergänger Hitlers und Möchtegernerlöser. Jetzt erlebt ein unbedarfter Architekt aus Küsnacht im Irak die Hölle.
Samarendra Ambani, der Schweizer mit indischen Wurzeln, ist aufreizend vernünftig, politisch neutral, kontrolliert, konfliktscheu und humorlos. Wie sein Lehrmeister, der berühmte Max Fehmer, hält er Architektur für ein gefühls- und wertneutrales Bauklötzchenspiel für gross denkende Erwachsene. Im Irak allerdings stösst sein Mantra «Ich bin Schweizer Architekt» nur auf Achsel zucken und Hohn: Der zivilisierte Europäer, der sich für habituell unschuldig und unverwundbar hält, bezahlt seinen Hochmut mit einer gebrochenen Nase.
Dass der Auftrag, eine Oper für Bagdad zu bauen, nicht ganz geheuer ist, hätte er ahnen können: Sam hat bis dahin nur ein buddhistisches Begegnungszentrum in Winterthur gebaut, und eine Oper ist so ziemlich das Letzte, was ein von Krieg und Terror zerstörtes Land braucht.
Schon bei der Ankunft beginnen die Missverständnisse, und so verliert der junge Architekt bald den Boden unter seinen Füssen: Der Auftraggeber, ein dubioses Word Wide Design Consortium, erweist sich als Phantom, der Puccini-Liebhaber Hamid Shakir Mahmoud ist verschwunden. Sam wird in Bagdad an einem Checkpoint von Bewaffneten aus dem Taxi gezerrt und ungeachtet seiner lautstarken Proteste - «Ich bin Architekt. Wir dienen der Schönheit und Funktionalität. Mit Politik haben wir nichts am Hut» - brutal gefoltert. Schliesslich wird er vom Roten Kreuz gerade noch einmal gerettet, aber zu Hause geht der Albtraum weiter. Nina, seine bis auf ein Damenbärtchen perfekte, aber ungeliebte Freundin, erfüllt Sam zögernd seinen bizarren Wunsch, noch einmal gedemütigt zu werden. Aber wo er durch das Re-Enactment der Folter im Badezimmer sein Iraktrauma zu bewältigen sucht, will sie ihren «kleinen Schneck» nur enger an sich binden.

Die Farce wird zur Tragödie

Die Urindusche als Traumabewältigung, das Badezimmer als häusliches Abu Ghraib: Grünberg würzt seine Romane, Zeitungskolumnen und Blogs gern mit boshaftem Sarkasmus und grellem Slapstick. In «Der Mann, der nie krank war» zügelt er sonst aber seine Lust an Tabubrüchen, Arabesken und anekdotischem Zierrat. Der schmale Roman liest sich fast wie ein Theaterstück: der Plot spannend wie ein Hitchcock-Thriller, die Sprache nüchtern, die Figuren knapp, aber präzise skizziert. Grünberg kennt die Gegend aus eigener Erfahrung: Er war als eingebetteter Reporter mehrfach im Irak, in Afghanistan und auch mal als Kulturbotschafter in Dubai.
Im zweiten Teil wird Sam noch einmal für ein Prestigeprojekt in die Wüste geholt, aber diesmal wiederholt sich die Farce als metaphysische Tragödie. Der Emir von Dubai will mit einer gigantischen «Bücherarche» seinen Ruhm als Kulturträger mehren. Sam folgt seinem Lockruf nur zu gern: Er hat sich noch etwas zu beweisen, und Dubai ist ja kein gescheiterter Staat, sondern «Westen 2.0», eine technologisch hoch entwickelte, kapitalistisch-professionell organisierte Gesellschaft, die ein Mindestmass an Hygiene, Rationalität und Humanität garantiert.
Wieder wird Sams Naivität bestraft. In seinem Apartment wimmelt es von Kakerlaken, der Auftrag entpuppt sich als Fata Morgana, der Rechtsstaat als Willkürregime. Als Sam nach einer Pokerparty unter Expats betrunken Auto fährt, wird er verhaftet und in einem kurzen Prozess zum Tod verurteilt. Er soll ein Agent des Mossad-Kommandos sein, das den Hamas-Führer Al-Mahmouh ermordete, ein Fall, der 2010 durch die Weltpresse ging: Diese Anklage ist grotesk, aber nicht einmal Nina glaubt noch an Sams Unschuld. Eine Botschaftsangestellte versorgt ihn mit einem Fernseher, Lindt-Schokolade und billigem Trost; mehr kann man für einen armen Irren nicht mehr tun.

Sicherheit ist kein Grundrecht

Wie die Bibliothek des Emirs hat auch Grünbergs nahezu perfekter Roman zwei Geschosse, einen Kulturraum und einen unterirdischen Bunker. An der Oberfläche ist er die Komödie eines lächerlichen Mannes, der Sicherheit für ein «Supergrundrecht» und die ganze Welt für eine Art Schweiz hält; eine Etage tiefer ist «Der Mann, der nie krank war» ein kafkaesker Prozess. Der Superschweizer, der sich aus allem heraushalten zu können glaubte, der Weltbaumeister, der über Form und Funktion seiner ehrgeizigen Entwürfe die Menschen aus den Augen verlor, muss für seine Lieblosigkeit und Blindheit mit seinem Leben büssen.