Arnon Grunberg
Sächsische Zeitung,
2014-08-22
2014-08-22, Sächsische Zeitung

Wie Puccini beinahe die Demokratie zu den Kurden brachte


Ulrich Steinmetzger

Der Autor Arnon Grünberg schickt einen jungen Architekten auf eine lebensgefährliche Reise zum Opernbau in den Irak.
Ach, wenn der Ehrgeiz nicht wäre. Auch Sam Ambanis Leben wäre dann ruhiger verlaufen. Sein indischstämmiger Vater hätte ihm als Warnung dienen können: Im Bestreben, ein allzu guter Schweizer zu werden, kletterte er in den Bergen und überlebte das nicht. Die Mutter glaubt seither an gar nichts mehr, höchstens noch an die Kultur, doch die kann die Probleme auch nicht lösen.
Sam hat nach seinem Architekturstudium ein Praktikum gemacht in einem berühmten Büro. Dessen Boss weiß ihn gut zu motivieren. "Die Avantgarde ist tot, nur in der Architektur lebt sie weiter." Sie beeinflusst das Lebensglück aller Menschen, denkt Sam und begnügt sich nicht mit Renommieraufträgen wie einem buddhistischen Zentrum in Winterthur. So ruhig will er es nicht länger. Ausgerechnet im krisengeschüttelten Bagdad plant er etwas, woran in den Fünfzigern schon Frank Lloyd Wright gescheitert war. Er will dem Ort eine Oper geben, denn: "Keine Demokratie ohne Oper". Sam ist überzeugt: "Ob Schiiten, Sunniten oder Kurden, das spielt alles keine Rolle mehr, wenn wir Puccini nach Bagdad bringen."
Weil wir im neuen Roman von Arnon Grünberg sind, ist im brutal rasanten Fortgang der Ereignisse mit Political Correctness nicht zu rechnen (Übersetzung: Rainer Kersten). Der zwischen Kontinenten und Kriegsgebieten pendelnde niederländische Autor ist von beängstigender Produktivität. Ein neurowissenschaftliches Institut will jetzt in seiner New Yorker Wohnung seine Kreativität experimentell vermessen. Immer geht es in Grünbergs Romanen um Tabuverletzungen, um Konflikte im Zwischenmenschlichen und vor allem um den Clash der Religionen und Kulturen. Der 43-Jährige findet aberwitzige Konstellationen, bei denen die Betonung auf aber und nicht auf witzig liegt. Seine Texte haben mindestens einen doppelten Boden unter der nur scheinbar einsehbaren Oberfläche.
Sam weiß, was er will in Bagdad. Nur sind die Bedingungen nicht so, dass er das vor Ort auch wollen dürfte. "Alle Kultur beginnt mit der Kontrolle über den eigenen Körper", sagt er sich, doch eben die wird er verlieren. Diebe, Verschwörungstheoretiker, Risikomanager und Geheimdienste deuten die Puccini-Oper um zum Decknamen einer Operation. Die Umstände verketten sich, westliche Eingriffe im Irak haben selten Erfolg, und der Schweizer Sam landet in der Folterzelle. Stundenlange brutale Verhöre folgen. Mit gebrochener Nase und Konzentrationsschwäche kehrt Sam nach Hause zurück.
Dort ist er ein Party- und Pressethema, vor allem jedoch sich selbst sowie den Seinen abhanden gekommen. Also fliegt er einem Auftrag hinterher nach Dubai. Das sieht sich als eine verbesserte Version des Westens, als "Westen 2.0". Dubai hat kein Zentrum, es ist das Zentrum. Ein ambitionierter Emir will eine Bunkerbleibe für alle Bücher der Welt errichten. Doch auch hier ist Sam nicht der Mann, die Schlüsselrolle durchzustehen. Ein Blechschaden und Alkohol kommen ihm in die Quere und massive politische Unterstellungen. Dann wird kurzer Schauprozess gemacht, die Leute von der Schweizer Botschaft demonstrieren ihre Neutralität auch gegenüber den eigenen Leuten, und endlich artikuliert die Mutter ihre Zweifel am verlorenen Sohn: "Macht's dir was aus, wenn wir nicht zu deiner Hinrichtung kommen?"
So ist das, wenn Arnon Grünberg unsere vermeintlichen Sicherheiten aushebelt und dabei en passant den Fall des im Mai in Abu Dhabi inhaftierten Schriftstellers Jörg Albrecht vorwegnimmt. Da war es gerade noch einmal gut gegangen. Grünberg aber kennt kein Erbarmen. Er lässt diesem Sam nur seinen Ehrgeiz, der am falschen Ort gnadenlos ins Leere laufen muss.