Arnon Grunberg
Rheinische Post,
2014-08-22
2014-08-22, Rheinische Post

Arnon Grünberg fesselt mit Roman über Zerfall eines Lebens


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Der niederländische Autor Arnon Grünberg stellte beim "Literarischen Sommer" seinen Roman "Der Mann, der nie krank war" vor. Neuss (hbm) Eva Müller hat bereits zehn Minuten vor Beginn der Veranstaltung Probleme. "Ist schon alles voll?"
"Acht Plätze gibt es noch!" Heiner Euler, wie Eva Müller Mitarbeiter der Stadtbibliothek und an diesem Abend mit ihr für den Einlass zur Lesung mit dem niederländischen Schriftsteller Arnon Grünberg zuständig, hat mal schnell durchgezählt. Denn noch stehen auf Müllers Besucherliste einige Namen. Während der Autor mit dem Leiter der Stadtbibliothek, Alwin Müller-Jerina, abseits des Trubels die Minuten bis zum Beginn seiner Lesung im Rahmen des "Literarischen Sommers" abwartet, schafft Heiner Euler noch ein paar Stühle herbei. Stehen muss also letztlich keiner. Nur Arnon Grünberg. Aber er liest halt lieber im Stehen, sagt er und postiert sich vor die Zuschauerreihen, nachdem er sich eine gute Viertelstunde - im Sitzen - mit Müller-Jerina unterhalten hat. Als Zuhörer ist man da in einer Zwickmühle. Am liebsten hätte man dem in New York wohnenden Niederländer noch länger zugehört. Wo er herkommt, was ihn zu seinen Reisen bewegt, wie er sein Leben gestaltet hat - in einer schönen Mischung aus Witz und Ernsthaftigkeit erzählt Grünberg von sich. Andererseits: Sein gerade erst erschienener Roman "Der Mann, der nie krank war" fesselt mit den ersten Sätzen, die Grünberg liest. "Ich fange einfach am Anfang an", sagt er und macht es damit genau richtig. Denn schon auf den ersten Seiten zeichnet er ein starkes Bild von seiner Hauptfigur Samarendra, einem jungen Architekten und Sohn eines indischen Vaters und einer Schweizer Mutter, der einen Wettbewerb zum Bau einer Oper in Bagdad gewonnen hat. Wir lernen seine Mutter kennen, seinen Vater und seine behinderte Schwester Aida und erfahren von seiner hervorstechender Eigenart: "Er ist in erster Linie gesund - körperlich wie geistig." Das ist wahrlich der Boden für alles, was folgt. Sam, wie er genannt wird, wird als Spion im Irak verhaftet, gefoltert, kehrt völlig verändert nach Hause in die Schweiz zurück. Wie sehr - das zeigt die von Grünberg klug ausgewählte Passage über die Willkommensparty mit Häppchen und Kürbissuppe, die ihm Freundin Nina und deren Freunde ausrichten. Man spürt Sams Alleinsein, sein Gefühl der Fremdheit in diesem früheren Zuhause, förmlich am eigenen Leibe. "Ist Sam denn nun ein Spion oder nicht?" Die Frage eines Zuhörers beantwortet Grünberg lächelnd mit "Ich hab wohl schon zu viel gelesen!" Stimmt und stimmt nicht. Grünberg liest genau so viel, dass diese Frage aufkommen muss. Aber die Antwort muss sich jeder selbst beim Lesen des Buches holen. Zu gern möchte man Sams Geschichte als reine Fiktion abtun. In großen Teilen ist sie es auch, aber Grünberg weiß genau, wovon er schreibt. Schließlich ist er mehrfach in den Irak gereist. Wie seine Romanfigur mit Wächtern und Unterbringung in einem "Safehouse" in Bagdad: "Und ich habe nicht gewusst: Bin ich beschützt oder ein Gefangener?" sagt der 43-Jährige und ergänzt: "Das hat mich einfach nicht losgelassen, als ich wieder zu Hause in New York war." Arnon Grünberg war mal wieder in Neuss zu Gast. Im ausverkauften Saal der Stadtbibliothek las er aus seinem jüngsten Roman.