Arnon Grunberg
Bau-Auslese,
2014-09-30
2014-09-30, Bau-Auslese

Entwurfsdrang als Todesfalle


Manuel Pestalozzi

Schweizer Architekten können zwar weltbekannt werden – Protagonisten in der Weltliteratur waren sie bisher nicht. Mit „Der Mann, der nie krank war“ hat sich das geändert. Samarendra Ambani, ein Jungtalent aus Küsnacht/ZH, spielt im Roman von Arnon Grünberg die tragische Hauptrolle.

Die Welt zu einem besseren Ort machen, diesen Wunsch teilt Samarendra, der sich Sam nennen lässt, mit vielen Berufskolleginnen und -kollegen. Schon sein aus Indien stammender Vater verfolgte dieses Ziel. Er hatte sich die Schweiz, für ihn das perfekte Land, als Lebens- und Wirkungsstätte ausgesucht, eine Einheimische geheiratet und betätigte sich als Erfinder vermeintlich nützlicher Dinge. Wo der Vater scheiterte, reüssiert der Sohn: Der Entwurf für ein buddhistisches Zentrum in Winterthur bildet nach einem Praktikum beim berühmten Fehmer den Grundstein für das eigene Büro, das Sam mit einem Partner betreibt.
Alleine beteiligt Sam sich am Wettbewerb für ein Opernhaus in Bagdad, das eine ihm unbekannte Stiftung ausgeschrieben hat. Er erfährt, dass hinter dem Projekt ein Exiliraker steht, der seinen Landsleuten mit dem Kulturtempel „etwas zurückgeben“ möchte. Wer Buddhisten in Winterthur begeistern kann, darf sich auch beim Projekt für einen Liebhaber von Puccini im Zweistromland gute Chancen ausrechnen, denkt sich der talentierte, ehrgeizige Architekt. Und tatsächlich wird Sam als Finalist zu einer Ortsbesichtigung eingeladen und fliegt in den Orient. In der Folge verwandelt sich der Roman in einen klaustrophoben Thriller, der in seiner Kausalität – möglicherweise bewusst – nicht immer überzeugt. Am Schluss endet Sam als Unschuldslamm auf dem Altar des globalisierten menschlichen Wahnsinns.

Mit bisweilen ätzender Ironie zeichnet der Autor in einem aktuellen internationalen Kontext den Abstieg des Architekten vom Paradies in die Hölle nach. „Der Mann, der nie krank war“, ist kaum eine Lektüre für zarte Gemüter. Er präsentiert Sam als guten, mitfühlenden Menschen und beschreibt dessen Peinigung in oft schwer erträglicher Detailliertheit. Parallel dazu wird der Schluss nahegelegt, dass der Schweizer nicht nur aufgrund seiner Herkunft sondern auch wegen seines Berufes sein Wissen um den Zustand des Planeten und seine Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, überschätzt. Dieser letzte Aspekt macht den Roman zur empfehlenswerten Lektüre für Architektinnen und Architekten, die zur Selbstreflektion Zeit finden. Arnon Grünberg lebt in New York und schreibt seine Romane auf Niederländisch. Sowohl die Schweiz als auch die Darstellung der Berufswelt lässt auf sorgfältige Recherchen schliessen, beide wirken authentisch. Rem Koolhaas dankt der Autor im Anhang für die interessanten Gespräche. Der Roman bietet eine intelligente Aussensicht auf den Berufsstand. Auch hier kommt es zu ironischen Überzeichnungen, vor allem im Zusammenhang mit dem grossen Fehmer, einem international erfolgreichen Architekturzampano, als dessen Jünger sich Sam sieht und dessen Platitüden für ihn gleich Gesetzeskraft zu erhalten scheinen.