Nichts ohne seine Tochter
Maria Frisé
Diese Geschichte einer zerstörerischen Liebe müsste eigentlich "Tirzas Vater" heißen. Denn um ihn, den gescheiterten Verlagslektor, verlassenen Ehemann und fanatisch liebenden Vater zweier Töchter, geht es in Arnon Grünbergs neuem Roman. Jörgen Hofmeester ist eine bedauernswerte Figur, ein Versager, der sich an seine jüngste Tochter, seine "Sonnenkönigin", klammert; die älteste ist bereits ihren eigenen Weg gegangen. Tirza ist für ihn das Liebste auf der Welt, seine Daseinsberechtigung, auf die er alles, was ihm geblieben ist, ausrichtet: Sein Haus in bester Lage von Amsterdam wird ihr einmal ebenso gehören wie ein angeblich angelegter Hedge-Fonds in der Schweiz. Alle Liebe bedeutet Selbstverleugnung und Opfer, das ist Jörgens Erfahrung, und er opfert sich geradezu besessen für dieses Kind auf, fährt es zum Cellounterricht oder zum Schwimmtraining, bekocht und umsorgt es, ohne zu merken, wie Tirza erwachsen wird und sich seinen Erwartungen entzieht.
Dass etwas mit Jörgen Hofmeester nicht stimmt, ist offensichtlich. Er reagiert einfach falsch (und oft sehr komisch) auf Schicksalsschläge, die ihn treffen. Statt in seinen Verlag, wo man ihn vor die Tür gesetzt hat, fährt er täglich zum Flughafen Schiphol, winkt Ankommenden und Abfliegenden zu und tut, als hätte er dort etwas zu kontrollieren. Zu Gesprächen zwischen ihm und seiner Tochter kommt es erst gar nicht, weil er in seine eigenen Vorstellungen verstrickt ist und nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit wahrnimmt. Tirzas Freunde zum Beispiel ignoriert er.
Als Jörgens ungetreue Ehefrau nach dreijähriger Abwesenheit plötzlich vor der Tür steht, lässt er es apathisch zu, dass sie sogar vom Schlafzimmer wieder Besitz ergreift und eine Intimität vortäuscht, die er längst vergessen hatte. Die Ehefrau kommt, abgetakelt und nach wie vor egozentrisch, zu einem Zeitpunkt zurück, als er vollauf damit beschäftigt ist, Tirzas Abiturparty vorzubereiten, und mit größter Sorgfalt komplizierte asiatische Gerichte herstellt.
Arnon Grünberg, 1971 geboren, hatte gleich zu Beginn seiner erzählerischen Laufbahn mit "Blauer Montag" (1994) internationalen Erfolg. Seitdem folgten Romane, Erzählungen und Theaterstücke, die er zum Teil unter dem Pseudonym Marek van der Jagst veröffentlicht hat. Der in New York lebende Schriftsteller versteht es, Spannung zu steigern, indem er Szenen einer heillosen Vergangenheit mit gegenwärtigen Konflikten mischt und Abgründe neben scheinbaren Idyllen aufzeigt. Er ist ein Spezialist für gebrochene Charaktere und hat eine Vorliebe für Neurotiker, deren jähe Aus- und Zusammenbrüche die Normalität verstören. Sie wecken Mitgefühl, weil sie Untiefen und Verletzlichkeit der menschlichen Seele ausleuchten.
Doch in "Tirza", seinem jüngsten Roman, überspannt Grünberg den Bogen. Oder wollte er einen Psychothriller produzieren, als er den bedauernswerten, etwas trottligen Vater der lieblichen Tirza in einen Wüstling verwandelte? Am Ende begegnet uns ein Monster mit ungehemmten Mordgelüsten, die dramatische Entfesselung unterdrückter gewalttätiger Sexualität - auf jeden Fall werden Justiz und Psychiatrie für diesen Jörgen Hofmeester zuständig werden.