Tirza
Manuela Haselberger
Tirza ist hochbegabt und für ihren Vater Jörgen Hofmeester schlicht sein Ein und Alles. Nun hat sie das Abitur in der Tasche und er will noch einmal ein richtig gutes Fest für sie geben. Denn gleich danach will seine geliebte Tochter mit ihrem Freund Amsterdam verlassen und für ein paar Monate nach Afrika verschwinden. Aber was soll Jörgen dann alleine machen? Gut, seine Ehefrau, die ihn vor drei Jahren verlassen hat, ist überraschend zu ihm zurückgekehrt, "man steht nicht nach drei Jahren einfach so vor der Tür," doch es will sich keine Gemeinsamkeit mehr zwischen den Ehepartnern einstellen. Im Gegenteil, gleich am ersten Abend, als sie wieder bei ihm ist, setzt es Schläge. Kein guter Beginn für ein erneutes Zusammenleben. Und seine ältere Tochter Ibi hat sich schon längst aus dem Staub gemacht vor dieser erdrückenden Vaterliebe. Nur Tirza und Jörgen hat es in den vergangenen Jahren gegeben. Zumindest war das für Jörgen so.
Nur manchmal keimen in Jörgen Zweifel auf, ob er wirklich alles für eine gute Erziehung getan hat. Klar, er hat Tirza mit Hingabe zum Cello-Unterricht gefahren, hat ihr abends Tolstoi vorgelesen, dafür gesorgt, dass sie regelmäßig an ihrem Schwimmtraining teil nimmt, schließlich ist sie ja seine außergewöhnliche Tochter. Als er sie vor einigen Jahren nach Deutschland ins Krankenhaus brachte, weil sie an akuten Essstörungen litt, dämmerte ihm, dass ein zuviel an Vaterliebe nur schwer zu verkraften ist und krank machen kann.
Einen Monat vor Tirzas Abitur wird Jörgen von seiner Arbeit als Lektor im Verlag freigestellt, weil er mit Ende fünfzig zu alt für eine Kündigung ist. Sein Gehalt erhält er der Einfachheit weiter, ohne dass er am Arbeitsplatz erscheint. Er ist ein freier Mann. Aber was soll er mit seiner nicht gewollten Freiheit anfangen. Das nächste große Ereignis in seinem Leben, so stellt sich Jörgen das zumindest vor, ist sein eigener Tod. Keine verlockende Aussicht.
Als sich Tirza, nachdem sie nach Namibia abgeflogen ist, tagelang nicht meldet, reist Jörgen ihr nach. Zum einen in Sorge um die Tochter, in Wahrheit aber, um Abschied vom eigenen Leben zu nehmen. Doch wie macht man so etwas überhaupt, wenn sich alles als falsch entpuppt?
Der holländische Autor Arnon Grünberg, der auch Bücher unter dem Pseudonym Marek van der Jagt veröffentlichte, lebt und schreibt in New York, ist international überaus erfolgreich und bereits in elf Sprachen übersetzt. Er hat in "Tirza" einem alleinerziehenden Vater ein Monument gesetzt, der sich so sehr darum bemüht, bei der Erziehung seiner Töchter alles ganz richtig zu machen, wenn er schon in seiner Ehe, er nennt seine Frau übrigens konsequent nie beim Vornamen, sie bleibt schlicht "die Ehefrau" und seinem Studium und Beruf nicht erfolgreich war. Doch auch bei dieser Aufgabe scheitert er grandios auf der ganzen Linie. Jörgen ist ein Mann, der vor dem totalen Nichts steht. Am Ende erkennt Jörgen, dass Sartre nicht recht hatte, denn die Hölle, "das waren nicht die anderen, das war er selbst."
Ein großartiger Roman, der von den Schmerzen erzählt, die das Leben bereitet - nicht das Leben allgemein, sondern ganz speziell das eigene, kleine, unbedeutende Leben.